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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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komponiert hätte: nichts fehlte, nichts störte. Ein absoluter Meister.
    Seine besten Fotos von der Rennbahn waren dabei, einige in Farbe, andere schwarzweiß, aber auch mehrere atemberaubende Serien, mit überraschenden Themen wie Kartenspieler, Alkoholiker, Giraffen, Bildhauer bei der Arbeit und heiße Sonntage in New York. Diese Serien reichten fast bis in Georges Jugend zurück, auf jedem Rähmchen war in winzigen, federfeinen Buchstaben Datum und Ort notiert.
    Es gab dutzendweise Porträtaufnahmen, einige im Studio gestellt, die meisten nicht. Wieder und wieder hatte er den flüchtigen Ausdruck eingefangen, der die Seele offenbart. Vielleicht hatte er ursprünglich zwanzig Aufnahmen gemacht, um nur eine zu behalten, aber davon war jede einzelne atemberaubend.
    Bilder aus Frankreich, Paris, St. Tropez, Fahrradrennen, Fischerhäfen. Keine Bilder von Leuten, die vor einem Café saßen und mit jemandem sprachen, mit dem sie nicht sprechen sollten.
    Als ich am Ende der dritten Kassette angelangt war, überlegte ich eine Weile, was George nicht fotografiert oder jedenfalls nicht aufgehoben hatte.
    Kein Krieg. Keine Unruhen. Keine Schreckensbilder. Keine verstümmelten Leichen, keine hungernden Kinder oder Hinrichtungen oder in die Luft gesprengten Autos.
    Die Botschaft, die ich stundenlang von meiner Wand empfangen hatte, bestand in einer ironischen Entblößung des Wesens unter der Oberfläche. Und vielleicht hatte George das Gefühl gehabt, daß die äußerliche Ironie der Gewalt ihm keine Ausdrucksmöglichkeit ließ.
    Mir war zutiefst bewußt, daß ich die Welt nie wieder mit den gleichen Augen sehen würde wie zuvor: daß Georges durchdringende Sicht der Dinge sich, wenn ich es am wenigsten erwartete, aufdrängen und mich in die Rippen knuffen würde. Aber Mitleid hatte George nicht gekannt. Die Bilder waren brillant. Objektiv, aufregend, phantasievoll und entlarvend; aber kein einziges war wohlwollend.
    Und soweit ich es beurteilen konnte, war auch kein einziges in irgendeiner Weise als Material für eine Erpressung geeignet.
     
    Am Morgen rief ich Marie Millace an und erzählte ihr das. Die Erleichterung in ihrer Stimme verriet, daß sie Zweifel gehabt hatte, und sie bemerkte es selbst und versuchte, es schnell zu vertuschen.
    »Ich wußte natürlich, daß George niemals …«, sagte sie.
    »Natürlich«, sagte ich. »Was soll ich mit den Bildern machen?«
    »Ach Gott, das weiß ich nicht. Es wird sie ja nun wohl keiner mehr stehlen wollen, oder?« Die murmelnde Stimme war durchs Telefon noch undeutlicher zu verstehen. »Was würden Sie vorschlagen?«
    »Na ja«, sagte ich. »Sie können wohl nicht gerade per Zeitungsanzeige verkünden, daß Georges Bilder zwar noch existieren, sich aber niemand bedroht fühlen muß. Deshalb glaube ich schon, daß sie immer noch gefährdet sein könnten.«
    »Aber das heißt ja … das heißt ja …«
    »Es tut mir schrecklich leid. Aber das heißt, daß ich der Polizei recht gebe. Daß George irgend etwas hatte, was jemand mit aller Gewalt vernichten wollte. Aber machen Sie sich bitte keine Sorgen. Bitte nicht. Was immer es war, es ist wahrscheinlich mit dem Haus verschwunden … und alles ist überstanden.« Und Gott möge mir verzeihen, dachte ich.
    »O Gott … George hat doch nicht … ich weiß, daß er nicht …«
    Ich konnte am Geräusch ihres Atems hören, daß ihre Verzweiflung wieder zunahm.
    »Hören Sie«, sagte ich, »wegen der Dias. Hören Sie zu?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, es wäre fürs erste am sinnvollsten, sie irgendwo kühl aufzubewahren. Wenn Sie sich dann besser fühlen, können Sie einen Agenten suchen, der eine Ausstellung von Georges Werk veranstaltet. Die Sammlung ist großartig, glauben Sie mir. Eine Ausstellung würde sein Talent würdigen und Ihnen ein bißchen Geld einbringen … und außerdem jeden, der sich vielleicht Sorgen macht, davon überzeugen, daß es nichts gibt, was Anlaß zur … ähm … Sorge sein könnte.«
    Es entstand Schweigen, aber ich wußte, daß sie noch an der Leitung war, weil ich ihren Atem hörte.
    »George hat nie mit einem Agenten zusammengearbeitet«, sagte sie schließlich. »Wie soll ich einen finden?«
    »Ich kenne ein paar. Ich könnte Ihnen die Namen geben.«
    »Ach so …« Sie klang schwach, und wieder entstand eine lange Pause. Dann sagte sie: »Ich weiß … daß ich viel verlange … aber könnten Sie … die Dias aufbewahren? Ich würde ja Steve bitten … aber Sie scheinen zu wissen … was zu tun

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