Reflex
immer noch eingelegt und präsentierte sich auf einen kurzen Knopfdruck wie zuvor in seiner ganzen Schärfe, samt Kalender und Datum.
Ich zog die Vorhänge vor das schwindende Nachmittagslicht und ließ das Bild in dem dunklen Raum hell leuchten. Nach einer Weile nahm ich es heraus und legte statt dessen den besten Streifen ein, den ich unten gemacht hatte, regulierte die Schärfe und vergrößerte jedes Drittel einzeln, so daß man sich jedes der drei Bilder gesondert anschauen konnte.
Man konnte natürlich keine perfekten Bilder erwarten, aber sie hoben sich mit ihren weißen bis dunkelgrauen Schattierungen lebendig von der Wand ab. Auf dem ersten sah man die obere Hälfte eines Mädchens bis zur Taille und dazu Kopf und Schultern eines Mannes. Beide waren unbekleidet. Der Mann umfaßte mit beiden Händen die Brüste des Mädchens und hob sie an, den Mund an der Brustwarze, die weiter von der Kamera entfernt war.
»Du lieber Gott«, sagte Jeremy verhalten.
»Mhm«, sagte ich. »Wollen Sie die anderen auch sehen?«
»Im Kleinformat haben sie nicht so schlimm ausgesehen.«
Ich projizierte das zweite Bild, das fast die gleiche Stellung festhielt, nur aus einem anderen Winkel aufgenommen, so daß man weniger die Vorderseite des Mädchens und dafür fast das ganze Gesicht des Mannes sah.
»Das ist einfach Pornographie«, sagte Jeremy.
»Aber nein.«
Ich nahm das zweite Bild heraus und zeigte das dritte, das völlig anders war. Die Ereignisse befanden sich im fortgeschrittenen Stadium. Das Mädchen, dessen Gesicht diesmal deutlich sichtbar war, lag offenbar auf dem Rücken. Das Bild erfaßte sie jetzt bis zu den Knien, die auseinandergespreizt waren. Über ihr lag der Mann, den Kopf zur Seite gedreht, so daß man sein Profil sah. Seine Hand umfaßte die eine sichtbare Brust, und es bestanden kaum Zweifel an der Aktivität, der sie sich hingaben.
Es gab keinen Hinweis darauf, wo die Fotos aufgenommen waren. Kein erkennbarer Hintergrund. Die schwachen Flecken auf dem durchsichtigen Film hatten sich in Menschen verwandelt, aber hinter ihnen war alles grau.
Ich schaltete das Episkop aus und machte das Licht an.
»Warum sagen Sie, daß es keine Pornographie ist?« fragte Jeremy. »Was ist es dann?«
»Ich kenne die Leute«, sagte ich. »Ich weiß, wer das ist.«
Er starrte mich an.
»Da Sie Anwalt sind«, sagte ich, »können Sie mir helfen. Was macht man, wenn man nach dem Tod eines Mannes herausfindet, daß er zu Lebzeiten wahrscheinlich ein Erpresser war?«
»Meinen Sie das ernst?«
»Allerdings.«
»Nun ja … ähm … er kann ja wohl nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.«
»Also unternimmt man nichts?«
Er runzelte die Stirn. »Wollen Sie mir … ähm … vielleicht erzählen, worum es geht?«
»Ich denke, ja.«
Ich erzählte ihm von George Millace. Von den Einbrüchen, dem Überfall auf Marie Millace und dem Brand ihres Hauses. Ich erzählte ihm von Elgin Yaxley und Terence O’Tree und den fünf erschossenen Pferden, und ich informierte ihn über das Liebespaar.
»George hat diese Abfälle sorgfältig in der Schachtel da aufbewahrt«, sagte ich. »Zwei davon habe ich enträtselt. Was ist, wenn noch mehr davon ein Rätsel enthalten? Oder gar alle?«
»Und alle … die Grundlage für Erpressung?«
»Weiß der Himmel.«
»Der Himmel weiß es … und Sie wollen es herausfinden.«
Ich nickte langsam. »Die Erpressungsgeschichten interessieren mich weniger als die fototechnischen Rätsel. Wenn George sie sich ausgedacht hat, will ich sie gerne lösen. Einfach um zu sehen, ob ich es kann. Sie haben völlig recht. Ich habe eine Schwäche für so was.«
Jeremy starrte den Fußboden an. Er schauderte, als wäre ihm kalt. Dann sagte er unvermittelt: »Ich denke, Sie sollten den ganzen Kram vernichten.«
»Da spricht der Instinkt, nicht die Vernunft.«
»Sie haben denselben Instinkt. Sie haben von … Dynamit gesprochen.«
»Tja … jemand ist in George Millaces Haus eingebrochen und hat es angesteckt. Als ich das erste Bild fand, habe ich gedacht, daß Elgin Yaxley der Täter sein muß, aber er war in Hongkong, und es ist kaum anzunehmen … Und jetzt könnte man glauben, daß das Liebespaar dahinter steckt … aber vielleicht waren die beiden es auch nicht.«
Jeremy stand auf und lief mit abgehackten, unkoordinierten Bewegungen unruhig im Zimmer auf und ab.
»Ich habe kein gutes Gefühl dabei«, sagte er. »Es könnte gefährlich werden.«
»Für mich?«
»Natürlich für
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