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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Sieg«, sagte ich schließlich, »oder auf Niederlage?«
    »Philip …«
    »Ich mach’s nicht«, sagte ich.
    »Aber …«
    »Sag’s mir, Harold«, sagte ich. »Sag’s mir Samstag früh, wenn ich dir nicht völlig gleichgültig bin. Ich kriege dann akute Magenschmerzen oder eine Gallenkolik oder Dünnschiß. Werde unmöglich starten können.«
    »Und was ist mit Daylight?«
    Ich preßte die Lippen zusammen, unterdrückte meine bebende Wut.
    »Wir hatten vier Siege letzte Woche«, sagte ich beherrscht. »Reicht dir das nicht?«
    »Aber Victor …«
    Ich sagte: »Ich werde mir für Victor die Seele aus dem Leib reiten, wenn es darum geht zu gewinnen. Sag ihm das. Sag ihm genau das.« Ich stand auf, ich konnte nicht mehr stillsitzen. »Und vergiß nicht, Harold, Chainmail ist erst vier. Er ist zwar schnell, aber dafür ganz schön launisch. Er geht ab wie ein D-Zug und versucht, an den Hindernissen auszubrechen, und er ist durchaus dazu fähig, jedes Pferd, das ihn anrempelt, zu beißen. Er ist teuflisch schwer zu reiten, aber er ist ein Draufgänger, und ich mag ihn … und ich werde dir nicht dabei helfen, ihn zu versauen. Und du wirst ihn verdammt nochmal versauen, wenn du mit ihm herumpfuschst. Du wirst ihn verkorksen. Du wirst einen richtigen Bocker aus ihm machen. Das ist nicht nur Betrug, das ist schlichtweg dumm.«
    »Bist du fertig?«
    »Ich glaube schon.«
    »Dann gebe ich dir recht, was Chainmail betrifft. Ich werd’s an Victor weitergeben. Aber letztendlich ist es Victors Pferd.«
    Ich sagte nichts darauf. Alles was ich sagte, konnte zu einschneidende Folgen haben. Solange ich noch für den Stall ritt, gab es noch Hoffnung.
    »Willst du was trinken?« sagte Harold. Ich nahm eine Cola, und der gefährliche Moment ging vorüber. Wir unterhielten uns ganz normal über die Chancen und Pläne für die drei anderen Rennpferde, und erst als ich ging, spielte Harold auf den drohenden Abgrund an.
    »Falls nötig«, sagte er ernst, »laß ich dir Zeit, krank zu werden.«
    Bei den Rennen in Fontwell ritt ich am nächsten Tag ein Pferd für Harold, das drei Hindernisse vor dem Ziel stürzte, und zwei für andere Leute, die auf den zweiten beziehungsweise dritten Platz kamen, was schwache Glückwunschbezeugungen, aber keine Lawine weiterer Angebote auslöste. Ein Durchschnittstag, besser als mancher andere. Der Sturz war harmlos gewesen: ein blauer Fleck, aber keine Verletzung.
    Kein heißer Klatsch im Waageraum.
    Kein ungebührlicher Streit zwischen neu gewählten Jockey Club-Mitgliedern und Kokain schnüffelnden Regisseuren. Keine ältlichen Lords, die sich die Lippen nach süßen Püppchen leckten. Nicht einmal verängstigte Jockeys mit gebrochenem Schlüsselbein, die sich wegen zusammengeschlagener Mütter quälten.
    Keine Besitzer in schweren blauen Mänteln, die ihre aufrechten Jockeys unter Druck setzten.
    Ein ruhiger Bürotag.
     
    Am Dienstag stand kein Rennen an, und ich ritt beide Trainingsrunden auf Harolds Koppel und schulte einige Pferde an Übungshindernissen. Es war ein rauher, feuchter Morgen, erträglich, aber nicht angenehm, und sogar Harold schien die Arbeit keinen Spaß zu machen. Als ich mein Pferd durch Lambourn zurückführte, dachte ich, daß die Stimmung der Downs den ganzen Ort ansteckte. An Tagen wie diesen sagten die Einwohner kaum guten Morgen.
    Ab zwölf Uhr hatte ich den Tag zu meiner Verfügung. Während ich mein Müsli aß, betrachtete ich die Rätselschachtel von George Millace, aber ich war zu unruhig, um noch einmal längere Zeit in der Dunkelkammer zu verbringen.
    Dachte an den versprochenen Besuch bei meiner Großmutter und suchte hastig nach einem guten Grund, ihn zu verschieben.
    Beschloß, das vorwurfsvolle Bild von Jeremy Folk zu beschwichtigen, indem ich versuchte, ein Haus aus meiner Kindheit zu finden. Eine hübsche Expedition ins Ungewisse, ohne Erfolgserwartungen. Ein Tag zum Treibenlassen, ohne Anforderungen.
    Ich machte mich also auf den Weg nach London und irrte in zahllosen kleinen Straßen zwischen Chiswick und Hammersmith umher. Sie kamen mir alle irgendwie vertraut vor: gepflegte Häuserreihen, meist dreistöckig mit Souterrain, Stadthäuser mit Erkern zur Straße für Mittelstandsbürger, täuschend kleine Grundstücke, die sich weit nach hinten zu kleinen eingeschlossenen Gärten erstreckten. Ich hatte zu verschiedenen Zeitpunkten in solchen oder ähnlichen Häusern gewohnt, und ich konnte mich nicht einmal an einen Straßennamen erinnern.
    Außerdem hatte sich

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