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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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nervöse Erwartung ernst neh men, schienen ihm all diese Schichten von Sätzen über Reihen und Schichten von kleinen Handlungen, die nur Wiederholungen jeden Tag ausgeführter kleiner Handlungen waren, schon gleich ein Protokoll dieses Tages zu formen: eine Verdopplung, die den Tag hält und zu dem Tag wird, er konnte immer weiterreden, während er schon durch das fremde Stadtviertel lief, wie ein Verrückter, aus der U-Bahn hoch, über den Gürtel und an dem Café mit den langen (staubigen, verrauchten) Vorhängen vorbei, ein Verrückter mit gekämmtem Haar und schönem Anzug, kann dich jemand hören? Er hörte sich selbst kaum noch. Er könnte sich in das Café setzen, etwas trinken, eine Melange oder einen Espresso, nein, einen Gespritzten, zwei Gespritzte, die Gäste beobachten, Rauch und Staub in sich hineinsickern lassen, auf ein Zeichen warten (das nicht kommen würde), irgendeine Figur, irgendeinen Blick, der ihm gälte. Jetzt geht die Luft durch ihn hindurch. Er geht am Café vorbei, er hat keine Zeit.
    Vor dem Eingang zum Einkaufszentrum saß die Reihe von jungen Mädchen zigarettenrauchend auf den Simsen zu den Schaufenstern, die nackten Knie stachen in die Höhe. Die Glastür öffnete sich vor ihm, er ging über den Boden aus kotzefarbenem falschen Marmor. Securityleute mit weißen Hemden, schwarzen Krawatten und ärmellosen Westen standen am Fuß einer Rolltreppe breitbeinig da; vor dem Supermarkt standen schöne, schön frisierte junge Männer in blauen T-Shirts und schöne blonde Frauen in blauen T-Shirts, alle mit dem gleichen breiten Lächeln, und verteilten blaue Luftballons an Passanten, vor allem an Kinder mit ausländischem Aussehen, wie ihm auffiel, mein Gott, die Freiheitliche Jugend, er fand es doppelt ekelhaft, dass diese ausländerfeindliche Truppe ausländische Kinder als Werbeträger benutzte, und redete sich, während er zur Rolltreppe eilte, ein, er würde flüchten; aber er hatte sowieso die Rolltreppe hochzufahren, um zum Drogeriemarkt zu gelangen. Er nahm, beinah wieder ruhiger geworden (im Grunde ist das doch alles einfach lächerlich), einen Einkaufskorb, Kinderwägen verstellten die Gänge, er war, so weit er sah, der einzige Mann im Laden, eine dünne Verkäuferin, die er für zwölf halten würde, sah an ihm vorbei, als wäre er nicht da, so soll es sein. Die Päckchen mit den Fotos waren alphabetisch in einem Regal angeordnet, er suchte den Namen, den er sich ausgewählt hatte, seine Schrift würde er nicht wiedererkennen. Er fingerte in seiner Brieftasche nach den Abholscheinen, für einen Moment fürchtete er, er könnte sie vergessen oder verloren haben. Die Securityleute waren die Rolltreppe hochgekommen, standen vor dem Eingang zum Drogeriemarkt, du bedauerst, dass du nichts getrunken hast: tu so, als hätte die Sache eine Bedeutung; wenn du das nicht durchziehst, sagt eine scharfe Stimme in seinem Innern, die sicher zum Spiel gehört, dann hast du keine Berechtigung zu leben, solche Berechtigungen, sagt eine neutralere Stimme, werden nicht ausgegeben, du hast dann bloß die Fähigkeit zu leben verloren. Keine Fähigkeit, keine Berechtigung, nun gut, du ziehst die Sache durch, gleitest wie im Flug durch das Netz aus feindlichen Blicken, das durch den Raum gezogen ist, von einem Leben, denkst du, in ein andres Leben.
    Vor ihm in der Schlange an der Kasse hatte eine große dicke Frau den Wagen vollbeladen mit Klopapierrollen, Wattepads, Kondomen, bunten Plastikfläschchen mit vier Sorten von Duschgel (Africa, Wild Rose, Moonbeam, Seduction), sie bückte sich mit Mühe, um diesen Krempel eins nach dem anderen aus dem für sie zu tiefen Einkaufswagen herauszufischen. Sein Herz klopfte laut, er versuchte, weder den Rücken der Frau noch die Augen der Verkäuferin anzustarren. Die Frau schob ihre Bankomatkarte falsch in das Lesegerät ein, vertippte sich beim Code, die Kassiererin versuchte ihr zu helfen. Draußen vor einem Spielzeugtier stand ein dickliches in unförmige Kleider gehülltes Mädchen und schaute zu ihm hin. Er erinnert sich, voll Unwillen; er bekommt Angst; er denkt, es gibt eine Welt, in der dieses Mädchen schön ist und du (ein Prinz) für sie bestimmt. All seine Überlegenheitsgefühle lösen sich in Luft auf, er könnte nicht flüchten, jetzt nicht und nie mehr. Die Kassiererin warf einen Blick auf die Abholstreifen, schob die Filmpäckchen über den Scanner und sagte einen Betrag, er hielt ihr einen Hunderter hin, nahm das Wechselgeld, ohne es

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