Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
und Klatschen, rhythmische Schreie. Ein paar Männer gehen vor das Lokal. Du konzentrierst dich auf einen Punkt an deinem Rücken, in der kleinen Kuhle über deiner Hüfte: dort pulsiert das Blut, dort dehnt sich, ganz langsam, eine kleine Kugel aus, mit fein gespannter Oberfläche, zitternd wie ein geschältes Ei. Du spürst nichts als dieses Pulsieren, du fühlst die kleine Kugel in deiner Hand, ein Lebewesen, das alles Wichtige enthält: die Hand des Mannes, die du einen Moment berührt hast, mit ihren glatten Fingernägeln, das Muttermal neben seiner Nase, das einzelne längere borstige Haar, die fettige Plastikfolie in seiner Brieftasche.
Sie lässt sich eine Zigarette geben, das Trommeln und Klatschen kommt näher, ein langgezogenes Tröten, rhythmische Schreie aus hundert oder tausend Kehlen, ein kalter Luftzug kommt durch die Tür. Der Mann, neben dem sie an der Bar sitzt, nickt ihr zu und ballt die Faust, sie wartet einige Sekunden, bevor sie ihm folgt, sieht, mit geschlossenen Augen, während sie einen tiefen Zug aus der Zigarette macht, die kleine Kugel durch ihren Körper wandern, den Arm hinab, sieht sie aus ihrer Hand gleiten und davonhüpfen. Sie trinkt den letzten Schluck aus ihrem Bierglas. Mit einem Tanzschritt ist sie auf der Straße, die Männer aus dem Lokal stehen aufgereiht da und klatschen der vorüberziehenden Menge zu, die Luft vibriert in einer ihr unbekannten Form, sie sieht keinen Anfang und kein Ende der Menschenmenge, mit der brennenden Zigarette in der Hand gleitet sie hinter der Reihe der Männer vorbei. Der ihre schaut sich halbherzig um, vielleicht hebt er den Kopf, einen Arm, wie um sich zu verabschieden, lässt eines seiner kurzen Beine zucken, wie um ihr zu folgen oder sie zurückzuhalten, vielleicht nimmt er sie gar nicht wahr. Ich kalt, flüstert sie und saugt die Luft in ihre Lungen, sie nimmt einen Zug aus ihrer Zigarette, erst die Luft, dann der Tabak (eine scharfe, kratzende Sorte), dann wieder die Luft, Atemzüge und Schritte setzen sich in ein Verhältnis, formen einen Rhythmus. In ihren Turnschuhen, ganz leicht, verschwindet sie im Gewühl der Demonstranten und taucht auf dem Bürgersteig auf der anderen Straßenseite wieder auf, sie schlägt die Gegenrichtung ein, an der zweiten Straßenecke wird sie nach links abbiegen, die Nacht soll sie verschlucken. Sie geht an den letzten Demonstranten vorbei, die sich miteinander unterhalten, wie zufällige spätabendliche Passanten. Einer hat eine Coladose in der Hand. Yo, schreit sie ihnen zu, und macht einen Hüpfer, sie schaut nicht, ob sie sich nach ihr umschauen. Sie überquert noch einmal die Straße, bevor sie abbiegt, und schnippt die Zigarettenkippe vor sich auf den Boden.
Deine Schwester ist vielleicht ganz nah, vielleicht wärst du ihr gerade um ein Haar begegnet, und jetzt entfernst du dich von ihr, kurz überlegt Mona, sie anzurufen, und greift sogar nach dem Handy in ihrer Tasche, das sie bald, sie weiß nicht wo, verloren haben wird, der Zufall würde es erlauben, die Schwester, die ein paar Meter von ihr entfernt dahinmarschieren wird, anzurufen, sie schaut aufs schwarze Display, dann beginnt sie die Vorstellung zu langweilen, sie läßt das Handy ausgeschaltet und steckt es wieder ein. Wozu anrufen, was sollte sie der Schwester sagen. Der Zufall würde es erlauben, dennoch wäre es ein Aufgeben, und warum sollte sie aufgeben, einfach so, freiwillig, bei der erstbesten Gelegenheit. Niemand begegnet ihr hier, in dieser steil bergabführenden Straße mit Alleebäumen und einem Radweg, niemand schaut aus dem Fenster. An der dritten Straßenecke biegt sie nach rechts, dann wieder nach links, nach ein paar Schritten merkt sie, dass sie am Donaukanal landen wird. Autos brausen den Kai lang, weißes Licht, rotes Licht, sie geht nicht bis zur Ampel weiter, sondern wartet einige Sekunden auf eine kleine Lücke im Verkehr. Sie freut sich darauf, an der dunklen, sanft fortströmenden Wasserfläche entlangzugehen.
Wie er nach dem Aufwachen sein Atmen kontrollierte (du atmest, als würdest du immer weiteratmen), ziemlich schnell aus dem Bett fand, dann zehn-, zwanzigmal durch die Wohnung lief, seine Handgriffe (Kaffeekochen, Computeranschalten, Hoseanziehen) mit Kommentaren und Anleitungen begleitete, sich spöttisch dabei zuschaute und sich zuschaute, wie er sich dabei zuschaute, sich heute, heute! vorsagte, als könnte er seine nervöse Erwartung ernst nehmen oder als könnte er andererseits seinen Spott über seine
Weitere Kostenlose Bücher