Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
dass er stinkt, und du glaubst zu stinken wie er, du schaust durch die staubigen langen Vorhänge auf die Straße, ich red und ich red, hörst du, und du sagst nix, weißt eh, wozu ich red, sonst siehst mich am End nimmer und glaubst noch, mich gibt’s gar nicht, das wär doch schlimm. Brauchst nix antworten, Meister, brauchst ned dreinschauen wie a Maiglöckerl, ich brauch nix von dir z wissen. Soll ich dich entlassen? Plötzlich packt er einen Kugelschreiber aus der Seitentasche seiner alten Natojacke (so nannte man das zu deiner Zeit), wird er gleich etwas aufschreiben, fragst du dich und schämst dich zugleich, dass du ihn in gewisser Weise für einen Analphabeten gehalten hast. Aber er beginnt, mit dem Kugelschreiber im Ohr zu stochern, die Geste irritiert dich, noch mehr als alles, was du eben gehört hast, der Kellner, der an eurem Tisch vorbeikommt, schaut euch schief an, hast a Öl gfundn, Oida? Herbert (der heißen mag wie auch immer, sicher nicht Herbert), mit dem du in den Augen des Kellners und für einen Moment auch in deinen eigenen zusammengehörst, murmelt etwas wie Na sicher, i bin der Ölprinz vor sich hin, er scheint dich vergessen zu haben, den Kugelschreiber im Ohr, und dich packt, vor diesem Anblick, ein kleiner Schwindel; Momente deines Lebens, ganz gleichgültige Momente (gibt es andere als gleichgültige Momente?) fügen sich zusammen, zu einer unbekannten Ordnung, die kein gestern und morgen, kein vor vierzig Jahren und in zwei Wochen kennt, nur ein Jetzt, das gleichzeitig irgendwann gewesen ist; irgendwann einmal sein wird. Aber dann streckst du dich einfach, mit einem leisen Knacksen im Nacken, und der Kugelschreiber verschwindet in einer Jackentasche, es gibt keine Zusammenhänge, keine Ordnung, keine unbekannten Gesetze, es gibt nur den Zufall. Es gibt nur, es gibt nur … Den Schnitt, die Gewalt der Übergänge, denkst du plötzlich. Dann habe ich den Schnitt gemacht, hörte er Herbert wieder sagen. Warum gab er ihm die Macht, ihn zurückzuhalten mit seinem Gerede oder ihn zu entlassen. Dieser Mann, Herbert, hatte die Macht: nun glaubte er zu wissen, wem die Häme des Kellners galt.
Er schaute auf die Uhr und suchte in seiner Kehle nach seiner Stimme. Gut, gutgutgut, ich muss jetzt auch leider gehen, brachte er schließlich mit falschem Lächeln heraus und legte einen Zwanziger auf den Tisch. Ahoi, sagt Herbert, salutierend, du fühlst zur Sicherheit nach den Kuverts in deiner Tasche. Bist ein Mensch, bist ein Dreck, sagt es in deinem Kopf, die Fetzen auf der Straße können reden. Er stellte sich, auf dem Weg zur U-Bahn, den Fahrschein in der Tasche, zwei oder drei Bier im Kopf, vor, nicht mehr nach Hause zurückzukehren, alles zurückzulassen (außer dem, was er in seiner Tasche hatte, Fotos, Geld und Kreditkarte, Führerschein, Kreditkarte, Fotos und Geld), die fünf- oder sechstausend Bücher, in die er ohnehin nie mehr hineinschauen würde, den Computer, in dem seine Erinnerungen und Gedanken (der offizielle Schatz seiner Erinnerungen und seine offiziell denkbaren Gedanken) ruhen, seine Wohnung, die, wenn die Wände seines Hauses sich öffnen, schnell zu Staub zerfallen wird, mit allen Spuren seines Lebens, das nur zufällig das seine wäre (das er mit keinem, mit keiner, je wirklich geteilt hätte), Füße können dich weiterkicken, schöner Mann im schönen Anzug, ein Fluss dich weiterschwemmen, der Wind dich fortwehen.
Sie legt sich in ihren Kleidern schlafen, der Mann schaut ihr von der Tür aus zu, am Morgen oder noch in der Nacht wird sie gehen; sie weiß alles über ihn. Mit zitternden Händen hat er eine Flasche Wein für sie aufgemacht, in seiner Wohnung voller Zeitungen und Gerümpel, während der Hund sich an ihr Bein und dann gleich in ihren Schoß schmiegte. Sie brauchte kein Wort zu sagen. Der Mann ist nicht so alt wie er aussieht, wenn sie geht, wird er glauben, alles falsch gemacht zu haben, und noch monate- oder jahrelang an sie denken. Ohne den Hund käme er niemals aus dem Haus, außer morgens in die Trafik und in den Supermarkt, wo er Dinge in seinen Einkaufswagen häuft, die im Kühlschrank und in den Küchenregalen verrotten werden, nur weil er sich schämen würde, nichts als Wein und Schnaps an der Kassa aus dem Wagen zu holen. Ohne den Hund hätte er auch nicht gewagt, sie anzureden, und ohne den Hund, der plötzlich aufgejault hat, hätte sie sich auch nicht umgedreht; der Hund hat aufgejault, als hätte er Angst, sie zu verlieren; Angst, weil er
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