Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
Journalisten das Mikrophon vor den Mund hielte: in welcher Sprache würde sie zu reden versuchen, was hat sie für zwingende Argumente, was für Sätze, die sie aus dieser Gegenwart in irgendeinen Bildschirm in irgendeinem anderen Land hinüberschicken kann, würde sie nicht nur falsche Emotionen zeigen, keinerlei Prägnanz in ihrer Aussage, müsste sie nicht den Eindruck erwecken, sie löge oder wäre naiv und verblendet. Es muss doch Wörter geben, die diese Gegenwart treffen, ganz einfach zu findende Wörter. Niemand spricht sie an, niemand schaut sie an.
Dieses ewige Meister ging ihm auf die Nerven. Er saß dem Typen (nenn mich Herbert) gegenüber, trank sein Bier und dachte an die Fotos in seiner Jackentasche, hörte zu, mit freundlichem Blick, nickte ab und zu, weil er es nicht der Mühe wert fand zu widersprechen, und versuchte, woanders zu sein, diese Minuten, diese Viertelstunde, diese halbe Stunde Gegenwart zu ignorieren. Die Stimme des Mannes, Herbert, nagte an diesen Minuten, hakte sich an einer Stelle in seinem Nacken fest, kroch durch seinen Körper; du trinkst dein Bier und würdest dich ohne dieses Flüssig-Kalte, diese bittere Frische an deinem Gaumen, in deiner Kehle, deinem Magen vollkommen verloren fühlen. Bist a Mensch, Meister, sagte Herbert und hakte sich mit der Stimme an seinem Nacken fest, ich verrat dir was. Man muss wissen, was im Hintergrund steht, die Sachen sind nämlich ganz anders. Er nickte und ächzte innerlich, er wußte schon, was gleich käme, es geht nur ums Erdöl, Meister, und die Amis haben genug Dreck am Stecken (wenn nicht noch Schlimmeres über den Mossad, die Bilderberger und die Ausländer), jeder Taxifahrer, jeder Lehrer, jede Hausfrau, jeder Poster im Standard und jeder Sandler sagte das, vor einigen Jahren hatte er gemerkt, dass ihm in den Gemeinplätzen und Dummheiten der vagen Mitte eine Karikatur seiner radikalen Ansichten von früher, als er sich mit dem Primat der Ökonomie und mit dem Neoimperialismus auskannte, entgegenkam. Er selbst hatte keine Ansichten mehr, weil es ihm absurd erschien, sich zu glauben. Nun geht es aber ganz anders weiter. Mir kann keiner mehr was tun, sagt Herbert, keiner von diesen Affen, ich erzähl dir, warum. Weißt du, ich bin so, wie ich bin, mich kann keiner von diesen Affen angreifen, der Kellner hatte die Biergläser mit einem seltsam hämisch klingenden Bitteschön auf den Tisch geknallt; so als sei es entschieden unter seiner Würde, solche Gäste zu bedienen. Du bekämpfst den Impuls, zu zeigen, dass du nicht wirklich zum anderen dazugehörst; du weißt, das wäre nicht nur niederträchtig, sondern würde alles noch viel schlimmer machen, und außerdem: Bist du dir sicher, auf wen sich die Verachtung des Kellners richtet? Du schaust dich um, eigentlich ist das hier genau die Art von Kaffeehaus, die du früher gemocht hast. Das dunkle Holz, die staubigen Vorhänge, die Billardtische, die Zeitungen, die Stille, die alle Gespräche und alles Geschirrklappern in sich aufnimmt, nichts wird vorgetäuscht, alles ist bloß da, so wie es eben ist.
Herbert begann ihm sein Leben zu erzählen, ein erstaunlich langweiliges Leben, Ausbildung, Berufe, Berufswechsel (in jedem Beruf bist du ein Dreck, ein Geldschein), Haus, Auto, Musik, Frauen (Weiber), Frau und Kinder; bis zum Moment, wo er genug hatte. Und dann. Borstige Bartstoppeln bedeckten Herberts Kinn und Hals, sein Gesicht war rot, die graue Schicht durchdringend rot, weißt du, ich red so, wie einer reden muss, der so ausschaut wie ich, du hörst plötzlich wirklich zu und stellst dir den Satz in einer Theorieversion vor; dann verstehst du immer weniger: Aber das ist alles nur Schmäh, sagt Herbert, ich bin so wie ich bin, es ist alles nur Schmäh. Wenn einer tot ist, kann er sein Bilderl spazierenführen, wie er möchte. Brauchst keinen Freund und keine Ansprach. Aber glaub nicht, dass du etwas loswirst, glaub nicht, dass du je etwas loswirst (er schaut dich scharf an, mit kleinen und sozusagen spitzen Pupillen im aufgedunsenen Gesicht). Die Fetzen auf der Straße können reden, sagt er, mit einer Spur von Hohn und einem seltsamen Gleichmut, d‘ Fetzen von de Leichen auf da Stroß‘n, glaub ma‘s, de dafeuden Fetzn und die Knochen unter die Baam. Ich hab den Schnitt gemacht. Er nimmt einen tiefen Schluck Bier. Du wirst schon lernen, dass du dich verkleidest, Meister, aber glaub nicht, dass du ihnen auskommst. Jetzt schaut er an dir vorbei, lächelt freundlich, dir wird bewusst,
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