Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
Zeitung, der Mann (sein Fehlen, sein Gestank, sein Name), Mona, der Schlüssel, die Gemeinheit der Welt. Das Badezimmer, die Gemeinheit. Die Angst, die Gemeinheit, dein Körper, die Angst. Die Wohnung, der Schlüssel, die Angst. Der Tod, dein Körper.
Das Telefon läutet, sie geht nicht ran, es ist der Mann, dieser Roland oder Peter oder Reinhard (der ihre Nummer nie haben wird), es ist Mona, es ist ihre Mutter, es ist jemand, der Mona sprechen möchte, es ist jemand, der über Mona sprechen wird. Spreche ich mit Frau Stanek, der Schwester von Monica Stanek? Ich bin Rost, bin diese Schraube. Wo hat denn Mona tanzen gelernt. Sie weiß es nicht, sie holt den Falter aus der Küche (immer liegt in der Küche auf dem Tisch oder auf einem Stuhl der Falter , seit du in Wien bist; ein Heft, zwei oder drei oder vier Hefte), auf dem Küchentisch stehen noch die Reste ihres Abendessens vom Vortag, oder eigentlich ihr ganzes Abendessen vom Vortag, das vertrocknende Brot, der vertrocknende Käse, die sie vorvorgestern im Supermarkt gekauft hat und heute wegwerfen wird, das halbvolle Bierglas, sie will nie mehr Bier trinken, stinkendes, täuschend kühles, wirkliches unwirkliches Bier. Sie setzt sich aufs Sofa und blättert im Veranstaltungskalender, im Kleinanzeigenteil, als könnte irgendein Wort ihr ein Zeichen geben, es kann keine Welt ohne Zeichen geben.
Du wendest dich ab, gehst weiter, flüsterst vor dich hin, nicht zu ihm, mit deiner heiseren Männerstimme, dein täuschender Geruch nach Frau umhüllt dich, er fragt sich, ob du so verkommen bist, wie er zuerst dachte; wer sich Fragen stellt, hat schon verloren, in diesem Spiel. Du bist dreckig, rein, niemand kann dich berühren. Plötzlich bezieht er auf sich selbst, was doch nichts mit ihm zu tun haben kann, du verfolgst, wie er nach und nach immer sichtbarer wird, dieser höfliche Typ, der bloß seinen Job macht und ein Raster hat, das er um alle Menschen gezogen weiß und das ihm alle Menschen erträglich und behandelbar macht, was passiert mit diesem Raster. Er folgt dir, du stellst den Orangensaft an die zweite Stelle, die du dir ausgesucht hast, zwischen Olivengläschen, nimmst ein Olivengläschen, der Mann spricht in ein Handy, wo ist eigentlich dein Handy geblieben, sie stellt das Olivengläschen an den dritten vorherbestimmten Ort, du hast keinen Hunger mehr, weißt, dass er zögert, soll er dich ansprechen, in welchem Ton: sanft, als spräche er mit einem Kind oder einer Kranken, oder bestimmt und fest, als hätte er dich durchschaut und überführt und könnte dich gleich festnehmen, rauswerfen, warum nicht töten; du wirst genau den Ton, den er wählen wird (als ob; als ob), schon erwarten, einfach weil du einen Schritt voraus bist. Seine Gedanken in dir gefangen hältst, es sind nicht mehr die seinen, nicht mehr seine berufsmäßigen unauffälligen Nichtgedanken. Sie geht zur Kassa.
Ihr Geruch (ist das der Geruch einer Obdachlosen, voller Vergessen und Verwesung, der Geruch eines halben Tieres, oder ist er verführerisch wie die seltsame Leichtigkeit, mit der diese Frau den Supermarkt durchtanzt und wie über die Sicherheitsschranke hinwegfliegend wieder verlassen hat?), dieser Geruch füllt sein Auto aus, seine Wohnung. Riech ihn mit seiner Nase. Er hält, während er den Wagen durchs Dunkel steuert, den Atem an, schweigt, schaut sie nicht an. Sie presst ihren Rücken an die Lehne, ihre Füße gegen die Schräge an der Wand zum Motorraum, ihr ganzer Körper ist fest, hart, wie ein Stück Holz, ein Stein, unbeweglich. Du weißt, dass er denkt, er sollte dich rauswerfen, der Orangensaft gluckert in deinem Magen, ein hohler Fleischsack in deinem Innern, in dem Fruchtsaft blubbert und sich zersetzt. Er sollte dich rauswerfen, wer weiß, was du vorhast, und was kann für ihn bei der Geschichte herausspringen außer einem schnellen Fick (ein Geheimnis? es gibt keine Geheimnisse). Der Wagen ist groß und leise, in den Einfamilienhäusern brennen Lichter, sie halten vor einem Wohnblock, der Mann grüßt mürrisch eine alte Frau, die ihren Hund Gassi führt und nur auf das Mädchen starrt, er will, dass du nicht da bist, dein Gesicht trägt keine Züge.
In seiner Wohnung (dein Geruch verändert sie) stehen Videocassetten mit Hollywoodfilmen, aber auch ein paar japanischen und chinesischen Kampfkunstfilmen in den Regalen, ein Teddybär in amerikanischer Polizeiuniform sitzt auf dem Sofa, sie rückt ihn zur Seite, ein Poster von einem Motorradfahrer in einer endlosen
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