Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
sinnlosen Spuren zu Sportlerinnen, Unternehmerinnen, Heiratswilligen, Urlauberinnen, Müttern, schaut Filmchen an, die ersten zehn oder zwanzig Sekunden von Filmchen, die ihm schon unerträglich lang erscheinen, Stunden vergehen darüber. Er schreibt sich die Namen von Firmen auf, die ihm irgendwo auf seinem Weg begegnen (im Nachhinein kann er nicht mehr sagen, wo) und die ihm bekannt oder absurd oder beides vorkommen (kann es ein Zufall sein, dass er jetzt darauf stößt?): PR-Wizard GmbH, Dream Advertising and Advertising Dreams, Auflösung nach Insolvenz, Handelsgericht Korneuburg, 21.3.20.. (das ist drei Jahre her, aber der Name weckt eine frische Erinnerung), xxx-Animations: Dream Power 4U (ein Mädchen, das vielleicht Mona heißt, auf einer Luftmatratze neben einem Swimmingpool, in keinem bestimmten Land, nirgendwo, zu keiner bestimmten Zeit, vorgestern, vor fünfzehn Jahren, niemals, eine Frau mit einem Gesicht ohne bestimmte Züge, mit Brüsten und einem Hintern, die lebt oder nicht lebt). Mit einer Flasche Wein und einem halben Brot kommt er durch den Abend, mit jeder Minute findet er ekelhafter, was er tut, gleichzeitig wird ihm immer unklarer, was er sucht und ob er überhaupt etwas sucht. Leichenschänder. Du suchst ein Bild, das diese Frau (oder diese Frauen?) zur Gänze enthält, völlig entblößt, du willst dieses Bild in dich aufnehmen oder hineinsteigen, bis du dich nicht mehr von der Frau (oder den Frauen) zu unterscheiden weißt, dich nicht mehr von ihnen zu unterscheiden brauchst. Deine Augen, die auf den Bildschirm starren, deine Finger an der Tastatur, deine Augen wie die Augen von niemandem, deine Finger wie die Finger von niemandem, dein Körper wie ein taubes Stück Holz. Du musst den Gedanken an das Ziel deiner Suche immer von dir wegschieben, der Ekel, das Vergessen, die Unklarheit begleiten dich durch den Abend und in die Nacht hinein. Bei jedem Bild der Wunsch, dieses Bild soll doch weggehen, bei jedem Video der Wunsch, dieses Video soll doch zu Ende sein. Es bleibt still, kein Anruf stört ihn, von der Wohnungstür ist kein Geräusch zu hören. Pre scheint besonders spät nach Haus zu kommen, das ist dir nur recht.
Für einen Moment lehnt er sich zurück und gerät wieder in einen Geisteszustand, der dem Denken ähnlich ist. Das Denken überdeckt den Ekel, in ihm lebt seine Neugier wieder auf. Seltsam ist doch, sagt er sich, jemand hat diesen Film offenbar über Jahre hinweg aufgenommen, ohne ihn entwickeln zu lassen; wozu denn, in was für Zeiträumen bewegt man sich hier. Sein Schreibtisch, im Zentrum einer Geschichte. Er sieht seine Schritte, gleitend, in Räumen vor fünfzehn, vor zwanzig Jahren, auf einem Friedhof, in einem Zimmer, in einem Haus. Er klickt auf ein Symbol links unten am Bildschirm, eine weiße Fläche öffnet sich: Neues Dokument , er schreibt einen Satz: Die beiden Mädchen scheinen ein merkwürdiges Haus zu bewohnen oder immer wieder dorthin zurückzukehren. Er schreibt: Langsam werden die Mädchen älter, von Bild zu Bild. Es sind zwei, und er verwechselt sie andauernd. Ich werde sie nie vergessen, schreibt er allerdings und löscht diesen Satz gleich wieder, was heißt ich , in dieser Geschichte kommt kein ich vor, warum beginnt er überhaupt zu schreiben, was soll daraus werden, eine Gruselgeschichte, ein Mädchenroman, ein Softporno? (Entscheide dich für eine Gespenstergeschichte, es geht nicht anders.) Hinter der Fensterfront des Wohnzimmers verwandeln Pflanzen den Balkon in einen kleinen Garten, weiter, das Dunkel des Innenhofs, ein Schacht, eine fensterlose Mauer, zurück, die Türen in der Wohnung stehen offen, eine leere Weinflasche auf dem Boden, eine halbvolle Weinflasche auf seinem Schreibtisch, dieser Mann auf seinem Bürostuhl mit aufgerissenen Augen, von ganz nah, dann klein geworden, fast zu übersehen durch die Balkontür vom Innenhof her oder über den Flur von der Wohnungstür aus, die sich doch jeden Moment öffnen könnte. Pre ist noch immer nicht da, es ist sechs Uhr früh, sagt zu seinem Erschrecken die Uhr, hat er nicht schon geschlafen, sind ihm nicht Sekunden, Minuten, Stunden dieser Nacht verlorengegangen, er kann sich kaum aufrichten, sein Rücken schmerzt.
Fast unsichtbar sitzt sie in der Schnellbahn, nun ist sie endlich müde und vor Müdigkeit wie gelähmt und entsetzt, nach zehn Tagen oder vierzehn (wir zählen nicht genau), nach einer Nacht ohne Schlaf zwischen den Gärten, dort wohnen seine Verwandten, denkt sie, hinter den
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