Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
Schule, in die er dich eingeladen hat, nicht seine Bleibe.
Als hätte er dir beim Denken zugehört, fragt der Mann sie: Eine Bleibe, in der Körper immerfort suchen, jeder nach seinem Verwaiser , kennen Sie den Satz? Ich denke doch, Sie lesen viel. Ist das ein Spiel, fragst du dich jetzt. Der Mann führt dich aus der Küche, ich kann Ihnen nichts erzählen, sagt er, ich kann nur etwas zeigen, ich habe auch Mona nur etwas zeigen wollen. Du kannst nicht genau sagen, durch wie viele Zimmer ihr hindurchgeht, es ist auch nicht klar, wie groß diese Zimmer sind und wie groß das Haus ist. Überall liegt Zeug auf dem Boden, diese Bleibe, diese Schule ist völlig zugemüllt, mit Kleidern, alten Decken, Bilderrahmen, Teppichrollen, Gummientchen, großen Holzlöffeln, erdverkrusteten Schaufeln, alten Puppen, Gipsvasen, zerfledderten Büchern (du möchtest einen Blick auf die Umschläge erhaschen), Plastiksäcken, aus denen Werkzeug, wie dir scheint, sehr langsam herausrieselt und -tröpfelt, Werkzeug und alte Nägel, Bündel von Nägeln, glitzernde oder schwärzliche Schrauben, Säcke voller Schrauben, Berge von Schrauben, jede könntest du mit leiser Gänsehaut zwischen zwei Finger nehmen. Er geht vor dir her, bahnt dir einen Weg, du folgst seinen schlabbernden Hosenbeinen, seinem dicht behaarten Hinterkopf. Blätter mit Zeichnungen hängen, an Reißnägeln befestigt, in Schichten übereinander an den Wänden, eckige Figuren, Gesichter, die nur aus großen Augen, nur aus einem Mund, nur aus Wangen zu bestehen scheinen, Schaltpläne oder Landkarten oder Stadtpläne mit einzelnen roten Ziffern und Buchstaben darauf, die Linien erscheinen dir wie Lebewesen, wie die lebendigen Einzelteile unbekannter Wesen. Ein nackter haarloser Mann, der auf dem Boden kauert (es ist nur eine Zeichnung, es ist dennoch ein Mann). Durch die bestickten staubigen Vorhänge kommt ein diffuses Licht. Du denkst, dass du nie mehr einen Menschen berühren willst. Er hat den Eindruck, sagt der Mann, dass Mona über das, was er zeigen kann, über ihn selbst, schnell hinweggestiegen ist. Aber ohne anderswo hinzugelangen. Der Mann öffnet eine Tür, das ist wohl der Übungsraum, du bleibst auf der Schwelle stehen.
Genau so gut könntest du dich plötzlich in einer anderen Welt befinden. In dem Raum ist einfach nichts, weiße Wände, ein heller Holzfußboden. Warum auch nicht, aber du verstehst nicht, wo das Licht herkommt, du verstehst nicht, warum die Leere dich so erschüttert, dass du weinen willst, der Kontrast zum Rest des Hauses reicht als Erklärung nicht aus.
Das Zimmer muss irgendwo mitten im Haus liegen, das Haus muss größer sein, als es von außen den Anschein hat, ein anderer Raum kann sich in den Raum geschoben haben. Okay, du bist verwirrt. Okay, es ist ein Trick des Lichts. Du stellst dir einen Relativsatz vor, der in einen anderen Satz (eine Wahrheit) nachträglich eingeschoben wird, eine Wahrheit, die eine andere Wahrheit aus den Angeln hebt. Und die Sätze, die Wahrheiten wären lebendig wie die Linien auf den Zeichnungen. Ihre Schwester wollte von der Philosophie nichts wissen, sagt der Mann, von den Wörtern, von den Herleitungen. Du bist schon Teil des Betrugs, hat sie zu mir gesagt, du machst es dir bequem mit Verdopplungen und Verzögerungen. Sie lebt in einem luftleeren Raum. So wie anscheinend auch Sie. Er sagt das ganz leise, mit seiner sanften Stimme, oder du hörst nicht mehr gut oder weißt nicht mehr, wen er meint, wenn er dich anspricht; wen jemand meinen kann, der dich anspricht.
Sie betritt das Zimmer nicht. Sie schließt die Augen, und das Zimmer ist immer noch da. Sie schaut durch die Wände hindurch.
IV
(Präsens, Imperfekt)
Da ist ein Mann,
der vom Fenster entzweigeschnitten wurde.
André Breton
Er wachte auf, die Wohnung war immer noch leer, Pres Bettseite unberührt, konnte es sein, dass er einen Anruf überhört hatte? Immer wenn er lang schlafen konnte, horchte er im Schlaf nervös aufs Telefon und schlief, wegen seiner Angst, einen Anruf zu versäumen, oder aber wegen seiner Angst, schlaftrunken einen Anruf entgegennehmen zu müssen, unruhig. Es war nach zwölf, er hatte keinerlei Erinnerung an die letzten Stunden, offenbar hatte er ruhig geschlafen. Das Licht am Anrufbeantworter blinkte nicht, das Display seines Handys zeigte bloß die Uhrzeit an. Pre, sagte er, ja, was ist denn das. Etwas nagte in seinem Magen. Die Tür zu Pres Zimmer stand einen Spalt weit offen, das Zimmer war leer. Dann fiel ihm ein,
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