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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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gekommen war, und mit dieser Stimme die ganze Dreamvoyage for you Reiseunternehmens GmbH und alle ihre Angestellten und Subangestellten und ihre ausgelagerten Subunternehmen und deren Angestellten und Subangestellten (oder gab es all das gar nicht, sondern nur den Namen, einen Briefkasten auf den Cayman Inseln, eine Stimme in einem Call Center in Indien) zu ersticken. Während er so dastand, die Hand aufs Telefon gepresst, erfasste ihn ein unkontrolliertes Zittern. Er beobachtete seine zitternde Hand, spürte, wie sein Kopf und seine Schultern in eine Art von Krampf verfielen, sah, wie ruhig zugleich der Schreibtisch dastand, die Pflanzen hinter der Glastür des Balkons, die Dinge in der Wohnung, die Wohnung in der Stadt, die Stadt in der Welt. Für einen Moment dachte er, es wäre für ihn alles vorbei, auf immer, dann bekam er Lust, jemanden zu töten oder auch die Welt in die Luft zu sprengen.
    Langsam beruhigte sich sein Körper, er ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken, wieder läutete das Telefon, er ließ es läuten, stellte sich einen endlosen Wald vor, der sich über Hügel und Bergketten zog, zu einem Tal hin, fast schon am Meer (du kannst, als ein Mädchen, aufs Fahrrad steigen und es einfach über ein paar Kurven zum Strand rollen lassen, ohne zu treten, ab und zu leicht die Bremse anziehend, in einem leichten Kleid, mit wehendem Haar), am Meer in Frankreich, wo sonst, schmiegen sich ganz für sich das Haus und der Garten in den Hang, die Sonne scheint durch die großen Fenster, die Jalousien in die weißgestrichenen Räume, auf die hellen Böden, die Sofas, auf denen die Mädchen ihre langen sirrenden Sommernachmittage verschlafen (ach Gott, aus welchem Film stiehlst du deine Altmännerphantasien). Dann stellte er sich nur noch den Waldboden vor, das Licht zwischen den Stämmen und in den Blättern, stellte sich vor, das Licht im Licht wiederzufinden, das an diesem Frühlingstag durch die Fenster seiner Wohnung eindrang (seiner Wohnung, die eher Pres Wohnung als die seine war, weil sie zwar beide ihre Erbschaft hineingesteckt hatten, es nun aber schon seit einigen Jahren Pre war, die Kreditzinsen und Betriebskosten zahlte), Licht, das auf Licht antwortet und Licht durchscheinen lässt. Darum geht es doch.
    Am Anrufbeantworter blinkte das rote Lämpchen, er drückte auf die Taste mit dem Pfeil, Sie haben eine neue Nachricht, Klick, eine kurze Pause, Walter, sagte dann eine Stimme schlicht, und er hielt den Atem an. Er war zugleich erleichtert und entsetzt, Pre war nichts geschehen, aber dennoch ist alles für ihn vorbei, er hörte fast nicht, was Pre sagte, sondern horchte nur auf ihre Stimme, er dachte nicht daran, sich zu setzen, sondern stand da, lose in seinen Körper gesteckt, schaute aus dem Fenster auf die Feuermauer des Hauses gegenüber, die zu dieser Tageszeit von der Sonne beschienen halb lebendig war (sobald er seinen Blick unter Kontrolle hat, ist sie wieder aus totem Stein). Die Stimme klang noch genau so wie Pres Stimme vor zehn, vor zwanzig, vor fünfundzwanzig Jahren geklungen hatte, selbst der ganz leichte oberösterreichische Akzent war noch da und fiel ihm nun plötzlich wieder auf, dieser Akzent, den er einmal so rührend fand, vor allem weil er so wenig zu ihrer immer etwas ironischen Redeweise gepasst hat, und der jetzt noch weniger zu den nüchternen Sätzen passte, die Pre aufs Tonband sprach (oder auch nicht aufs Tonband, es gab kein Band mehr, in das sich die Stimmen eingruben, nur einen Speicherraum, der die Stimme und die Sätze in Zahlen und Elektrizität übersetzte und auf immer in seinem Dunkel verschluckte). Er dachte nicht an Pre, es war, als würde ihm ein Spiegel vorgehalten, jeder Satz, modelliert von der Stimme, deren Klang dir einmal etwas bedeutet hat, raubt dir ein Stück deiner Kleidung, eine Schicht von deiner Maske, du brauchst selbst nichts mehr zu sagen und niemanden zu erfinden, der dir zusieht, die Stimme vom Anrufbeantworter beschreibt dich wie der Blick einer Kamera, sie braucht nicht einmal von dir zu sprechen, um dich zu beschreiben. Du siehst dich nackt, ohne Zauber, ohne fremdes Parfum, ohne Ort, irgendein Stück Mensch. Alles was Pre (die er vielleicht noch einmal sehen würde, aber nie mehr wie jemanden, der zu seinem Leben gehört) sagte, war richtig, vielleicht würde es ihn noch zornig machen, wenn er es überlegte oder eher, wenn er es lang genug wiederkäute, aber es war schlicht richtig. Er fragt sich nur, weshalb sie so lang

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