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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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Tellers, ein Stofftier, er greift nach ihm, es weicht ihm aus, ein Stofftier mit schäbigem Fell, natürlich erkennt er es wieder. Du bist doch tot, will er ihm sagen; denn auch Stofftiere können sterben, das Fell dieses Esels ist schäbig geworden, seltsamerweise sind Blutgefäße und Organe unter der dünnen Haut zu erkennen, zart, leicht eklig; sonst sieht das Ding kaum mehr wie ein Esel aus, Emil, sagt er (hoffentlich nicht laut), ja was ist denn das; das Ding sieht kaum mehr wie ein Esel aus, aber seine Beine zucken, und du hast Angst, er könnte beginnen zu reden oder auch zu heulen, mit dem entsetzlichen herzzerreißenden Ton, mit dem nur Esel heulen können.
    Sekundenlang musst du weggewesen sein, nur ein versonnener Gesichtsausdruck ist von dir geblieben, dann kehrt das Lokal in deinen Blick zurück; und ein Bewusstsein von Pre, und der Schmerz. Herbert beugt sich über den Tisch und schaut dir von ganz nah in die Augen. Er redet noch immer, Fragmente einer blödsinnigen Geschichte, die überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was du verstanden hast, fügen sich zueinander, hörst mir zu, Meister, die Weiber können mir gestohlen bleiben und die Arschlöcher können mir nichts mehr anhaben, es geht um irgendeine Frau, die ihm davongelaufen ist, und um eine Firma oder vielleicht eher Behörde, die ihn verfolgt, und Leute, die ihm auflauern, ob das eine mit dem anderen zu tun hat, ist unklar, du schaust in sein Gesicht, hinter dem sich nichts mehr verbirgt, ein systematisch über Jahre und Jahrzehnte zerstörtes Gesicht, wie es tausende gibt, nicht das deine, weil du durch irgendeinen Zufall oder den Schutz deiner Klasse dieser Zerstörung so lange Zeit entgehen konntest, es ist irgendein Männergesicht, kein Spiegelbild.
    Vielleicht lebst du in einem falschen Bildraum, besser als die anderen, alles ist gut, du kannst zurückkehren, immer wieder zurückkehren.
    Herbert redet davon, jemandem das Gas abzudrehen , in irgendeinem Moment wird das das einzig Mögliche sein (oder war das das einzig Mögliche), jemandem oder sich selbst das Gas abzudrehen und aus und Ende , jetzt könnte die Geschichte sich runden, und du könntest (beruhigt, weil es nur eine Geschichte ist, die nie etwas mit dir zu tun haben wird, du wirst Herberts Bier bezahlen und vielleicht sein Essen und das Essen seiner Gäste, ohne etwas davon an deinem Kontostand zu merken) endlich verstehen, worum es gegangen ist, nun unterbricht sich allerdings Herbert und verzieht sein Gesicht zu einer Art von Lächeln.
    Herr Doktor, du bist nicht ganz da, oder? Muss ich mir Sorgen um dich machen? Grins nicht so, denkst du, und hast Angst, Herbert könnte hören, was du denkst. Für einen Moment durchzuckt es dich: du sitzt hier nicht einfach einem armen Typen, der Hilfe braucht, gegenüber, sondern einem Mörder oder einem Wahnsinnigen. Die anderen Möglichkeiten, die dir einfallen, wären noch schlimmer.
    Soll ich dich entlassen?, fragt Herbert, wortgleich wie gestern und so, als würde er nur sich selbst zitieren; du wagst nicht, ja zu sagen, und hast zugleich Angst, er würde dich begleiten, würde ganz einfach mit in dein Auto steigen, du würdest ihn womöglich nie mehr loswerden, er würde deine Wohnung anschauen, etwas sagen wie, da sind ja Büchel wie in einer Bibliothek, oder, na gemütlich ist es da nicht, und es sich gleich gemütlich machen, du wärst nicht mehr allein, du wärst wieder nicht allein. Was denkst du da, du Spießer.
    Du bist doch tot, sagst du leise (und hoffst wiederum, du würdest es nur denken, und weißt nicht mehr, an wen sich deine Gedanken richten); der Kellner steht am Tisch und du streckst ihm einen Geldschein hin, stimmt schon, sagst du, daaankeschön, Herr Doktor, sagt der Kellner, beehren Sie uns bald wieder. Das a von Dankeschön zieht sich länger hin als das beinah in eine Silbe zusammengeschrumpfte bjernseuns . Es ist gerade erst kurz nach sieben. Du hast das Gefühl, dein Name und dein Lebenslauf sind dir auf die Stirn tätowiert.
    Auf Wiederschauen, bis bald einmal wieder, sagt Herbert und verschwindet in einem Hinterzimmer, wo, denkst du, an einem anderen Tisch jemand sitzen wird, den er kennt, den er gestern oder vorgestern angesprochen hat und der sich zufälligerweise heute in dieses Wirtshaus, in das er eigentlich niemals freiwillig gegangen wäre, verirrt hat, ein Herr Diplomkaufmann, wünschst du dir, oder ein Herr Ingenieur, sonst aber ein Arschloch wie du (aber würde sich denn ein Diplomkaufmann oder

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