Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
gestorben ist, ein Ort, wo nichts auf diesen Tod hinweist, so wie (zur Vermeidung von Nachahmungstätern, weil die Tat offenbar , wie es hieß, in keinerlei politischem Zusammenhang stand , vielleicht auch aus einem unbestimmten Gefühl von Peinlichkeit) keine Meldung in den Medien auf diesen Tod hingewiesen hat, einmal kommt sogar eine der Donnerstagsdemonstrationen direkt an dem Haustor vorbei (war sie an dem anderen Donnerstag in der Nähe? Hätte sie Mona beinahe noch einmal lebend gesehen, hätte sie sie noch einmal sehen können? Sie wird es nie wissen). Es ist Sommer, jemand schwingt eine Tröte, jemand trägt eine lächerliche Verkleidung, jemand ist halbnackt; sie gehen am schwarzen Loch dieses Haustors vorbei, jemand trötet fröhlich, und sie legt einen Wechselschritt (einen Tanz schritt) ein, sie sind ein Haufen von Verlierern, eine Rasse von braungebrannten strahlenden Siegertypen hat unter der Führung von zwei bösartigen Gnomen die Macht übernommen, schaut ihr aus jedem Fernseher entgegen, bestimmt neu, was Wahrheit und Lüge ist, und wird in fast allen Zeitungen gefeiert; während das Land nach kurzer Verunsicherung wieder in Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit verfällt, sich als Opfer des Auslands bedauert und gefällt und das sogenannte Ausland das Land schon wieder vergessen hat und kaum merken wird, dass es nach und nach in kleineren oder größeren Dosen dessen Gemeinheiten übernimmt, laufen sie als Häufchen von Verlierern durch den Donnerstagabend, und Mona ist tot. Alles kann passieren und alle gewöhnen sich daran, sie wundert sich nicht mehr, nichts ist körperlich ernst, niemand hindert dich daran, jeden Donnerstag mit einem von Woche zu Woche schrumpfenden Häufchen von Verlierern durch die Straßen zu laufen. Irgendwann hörst du, wie von selbst und ohne es zu planen, damit auf, das heißt nicht, dass du aufgegeben hättest.
Immer wieder sieht sie jetzt ihre Schwester als ganz kleines Kind mit flatternden Armen auf sich zulaufen; als glaubte sie beinah ans Fliegen, wäre so ungelenk, dass sie fliegen könnte; in ihrer Ungelenkheit so in ihrem Körper zuhause, den Grenzen ihres Körpers so nah, dass sie fliegen könnte. Zum ersten Mal seit langer Zeit erinnert sie sich daran, dass sie einmal Kinder waren, kleine Kinder, sie erinnert sich an gemeinsame Spiele, bei denen sie aufhörte, die vernünftige große Schwester zu sein und sich wie ein Tierchen mit einem anderen Tierchen endlose Nachmittage lang im Garten oder im Kinderzimmer zwischen Stofftieren und Bausteinen im Spiel ineinanderschlang.
Einmal, in einer Woche, in der sie nichts isst, daliegt, in Monas wenigen Büchern liest und darüber nachdenkt, ob sie nicht dabei ist, wahnsinnig zu werden, geht sie in Monas Zimmer, das unverändert ist und so aussieht, wie sie es vor Monaten oder vor einem Jahr fotografiert hat, öffnet den Kleiderschrank und probiert diese ihr früher etwas zu engen Hosen, diese paar bunten Kleider aus. Sie stellt sich vor den Spiegel. Diese Kleider bedeuten nichts, weisen nicht auf Mona hin, riechen nicht einmal nach Mona, nichts riecht nach Mona, es ist, als hätte Mona selbst nie nach sich gerochen. Sie erinnert sich an die Kleider aus der Waschmaschine, an den Tag, an dem sie diese Kleider fand und wusste, dass es ernst war, an das Hemd, von dem sie niemals wissen wird, woher Mona es hatte, sie findet dieses Hemd, sorgfältig auf einen Bügel gehängt, jetzt erinnert sie sich auch wieder an Monas Geruch, den Geruch einer lebendigen Frau, ihrer Schwester, den Geruch von Monas Wäsche, den Geruch nach Leben, der restlos aus all diesen Kleidungsstücken herausgewaschen ist. Sie zieht sich aus, ihr abgemagerter Körper im Spiegel ihres eigenen Schlafzimmers ist alles, was unter dieser Kleidung zum Vorschein kommen kann, in Monas Zimmer, in das sie, die Hose zusammengeknüllt in der Hand, zurückgeht, ist kein Spiegel, hier braucht es keine Verdopplungen mehr, das Zimmer ist selbst nur noch ein Abbild; wie Monas Geruch aus ihrer Wäsche herausgewaschen ist, so ist alles Leben aus diesem Bild eines Zimmers herausgewaschen. Sie nimmt einen Slip, einen BH aus der Schublade und schlüpft hinein; sie zieht die Hose, die sie eben erst ausgezogen hat, wieder an, sie zieht das Hemd an.
Manchmal kommt ihr vor, die Dinge sind von einer grauen schimmelartigen Schicht bedeckt, unter der sie langsam zerbröseln; wenn sie aus dem Fenster auf die Straße hinunterschaut, mit ihren großen leeren Augen, scheinen ihr
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