Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
nicht, was das ist, ein Ende, das niemals endet, und fürchtet es zu erfahren. Er versucht, in dem Gesicht der Frau, die nicht Monica Stanek sein kann, zu lesen; einem Gesicht, in dem nichts zu lesen ist. Es gibt keinen Zusammenhang, murmelt er und beginnt in seiner Tasche nach den Fotos zu kramen. Nein, flüstert sie, mit ihrer heiseren Männerstimme, es gibt nicht den leisesten Zusammenhang.
Es ist schwer zu sagen, warum, so wie es schon schwer zu sagen ist, warum sie so ausführlich und von ihren Sätzen (die fast alle nicht von ihr stammten, aber in ihrem Kopf Wurzeln geschlagen hatten) mitgerissen auf sein Mail geantwortet hat – sie vergisst den Ekel nicht, und dieser Typ gefällt ihr nicht, nicht als Mann und nicht als Mensch –, aber gegen Ende dieser zwei oder drei Stunden im Kaffeehaus hat sie nach sehr langer Zeit, vielleicht zum ersten Mal seit ihrer Kindheit, wieder das Gefühl, mit jemandem über dieselben Dinge zu sprechen; ab und zu kommt ihr der Mann, der, wie er ihr erzählt, einmal mit Kunst zu tun hatte, ohne je selbst Künstler zu sein, sehr alt vor, ab und zu wie ein scheuer Fünfzehnjähriger, immer ein wenig falsch und fehl am Platz in der eigenen Haut, dafür leistet die Haut der Wörter keinen Widerstand, mit weichen Fingern graben sie in der Erde, so stellt sie es sich vor, im selben Innenraum, er erscheint ihr nicht mehr als Mann, sie hört ihre heisere Stimme und sieht die Töne wie Zeichen im Raum stehenbleiben. Und sie kann die Leere in seinem Kopf besetzen, weshalb reizt sie das. Dann holt er einen Umschlag mit Fotos aus seiner Tasche
Alles ist wieder da, es war niemals fort, nichts ist mehr da. Das sind Sie?, fragt der Mann, der nun Walter heißt, ein langhaariges Mädchen, das niemand erkennen würde, schaut vom Sofa aus schräg zur Kamera hoch. Das ist Mona, sagt sie. Über Mona gibt es nichts zu erzählen.
Mit weichen Fingern graben sie in der Erde, sie hat Angst, aber wozu ist sie da, wenn nicht dafür, Angst zu haben, sich zitternd auf Bühnen zu stellen, ein Stückchen Angst, nicht sie selbst, ein Menschenkörper, auf dessen Zunge ein rohes Stück Fleisch liegt und der der Lust nachspürt, die aus dem Ekel an ihrer Zunge und in ihrer Kehle, und aus der Angst, in die sie sich gestürzt hat, hervorgehen können, einem all das, die Scham, die Angst und den Ekel durchstreichenden Wissen. Sie bietet dem Mann, Walter, etwas an, ohne zu überlegen, weshalb, sie muss nicht immer überlegen, weshalb sie etwas macht.
Sie treffen sich drei Tage später in seiner Wohnung oder dem, was er von seiner Wohnung noch benützt und was von seiner Wohnung noch vorhanden ist. Sie hat sich sozusagen selbst eingeladen, aber er hat keine Sekunde lang daran gezweifelt, dass sie das Recht dazu hat, er würde ihr die Wohnung überlassen, wenn sie ihn darum bitten würde, er weiß, dass er ihre Wohnung nie betreten wird. Ob es außer dieser Wohnung (die er sich nicht einmal vorzustellen versucht) den Ort noch gibt, an dem ihr Bild ihn erwartet, weiß er nicht; er weiß auch nicht, ob es wirklich ihr Bild ist, das ihn erwartet, und ob es er ist, der erwartet wird; etwas, wofür sie steht, ohne dass es in irgendeiner Weise an ihr sichtbar wäre, erwartet etwas, wofür er steht, ohne dass es in irgendeiner Weise an ihm sichtbar wäre. Es hat diesen Ort, den Garten und das Haus, gegeben, also gibt es den Ort; es gibt das Bild, also gibt es die Frau und den Punkt (ihn), von dem aus sie sichtbar ist. Vor der Balkontür tanzt der Staub wie Schwärme von Mückchen, draußen die Pflanzen, die Mauer, die fremde Landschaft. Die Wohnung wirkt größer, mit dem Schwinden der Einrichtung haben die Wände sich kaum merklich verschoben. Möbelstücke, an die er sich deutlich erinnert, fehlen, es ist nicht bloß ein Unsichtbarwerden, sie sind nicht mehr da; vor dem Schreibtisch steht kein Bürostuhl, mitten im Raum, dort, wo es einmal einen großen Tisch gegeben hatte, ein Klappstuhl, alles wie zufällig verteilt, die Zeitungen liegen auf dem Boden, der Fernseher ist in die Ecke gerutscht, wo er, ohne Kunststofffuß und ohne Fernsehtischchen unter sich, an der Wand lehnt; wenn die Sonne scheint, ist die Staubschicht auf dem Bildschirm deutlich.
Er wartet auf das Klingeln an der Tür. Er öffnet, als würde er damit aus seinem Körper treten und die Wände noch weiter verschieben. Die Tänzerin wird ihm hier gegenübersitzen, während der Abend anbricht, und beginnen zu erzählen oder zu erklären, so wird es ihm
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