Regenbogen-Welt (German Edition)
erhob er sich und schlich aus dem Zelt in die Nacht
hinaus.
Claudius trieb seine Männer wieder an. Sie waren erst ein großes
Stück die Küste entlang gesegelt und dann in einer Bucht vor Anker gegangen.
Von dort aus startete die nächste Expedition in das Landesinnere. Claudius
zeigte sich noch unerbittlicher als bisher. Immer noch trug er die geheime
Karte unter dem Hemd und war sicher, dass er endlich der Goldenen Stadt
entgegenritt. Jose galoppierte neben ihm. Er befand sich jetzt beinahe ständig
in einem Halbtraum. In seinem Inneren war tiefe Traurigkeit, denn die
Gefiederte Schlange begleitete ihn ständig und hielt ihm Claudius’ Gräueltaten
vor Augen. Er musste immer an ihre Worte denken, dass nur er, Jose Bolancer, in
der Lage war, den Eroberer zu stoppen. Dessen Seele zu erreichen. Aber Jose
wusste, dass Claudius’ Seele längst ihren Anker verloren hatte.
Es war kurz nach Tagesanbruch. Der Wind floss noch kühl wie Seide
an Joses Gesicht vorbei. Seit geraumer Zeit begleitete sie ein Adler, der große
Kreise über ihnen zog. Er stieß heisere Schreie aus, die einer Warnung gleichkamen.
Jose wurde es immer unbehaglicher. Nein, ihm wurde angst und bange. Das Gefühl
nahenden Unheils breitete sich mit jedem Herzschlag weiter in ihm aus.
Einige Stunden später kämpften sie sich eine Anhöhe hinauf und
blickten in ein sanft abfallendes Tal. Jose hörte zwischen den Ausrufen der
Männer Claudius’ Schrei. Er schwankte zwischen Triumph und Erleichterung.
„Das ist Tenochtitlán!”, schrie er mit schriller Stimme, die sich
zu überschlagen drohte. Dann riss er sein Hemd auf, zog die Karte hervor und schwenkte
sie über dem Kopf. „Das ist Tenochtitlán – die Goldene Stadt. Sieh nur, Jose.
Siehst du die goldenen Türme?”
Jose spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Sie zog ihm durch Magen
und Gedärm. Wie unter einem Faustschlag krümmte er sich im Sattel, meinte die
Gefiederte Schlange: „Du musst ihn aufhalten!” flüstern hören und wusste
gleichzeitig, dass es zu spät war.
Er hatte versagt!
Claudius gab seinen Männern ein Zeichen und umlagerte die Stadt,
deren Namen er sich nicht merken konnte und die sich stolz in dem Tal erhob. Er
nannte sie erst Mexica, was so viel wie Nabel des Mondes bedeutete, und
wandelte schon kurze Zeit später den Namen in Mexico. Die Stadt lag auf zwei
miteinander verbundenen Inseln im Mondlicht vor ihm, als er sie das erste Mal erblickte,
und so war der Name mehr als treffend, weniger romantisch. Denn Claudius’
Gesinnung war nicht sentimentale Verbrüderung. Er dachte jetzt nur noch an
eins: das GOLD!
Am liebsten wäre er sofort hinunter gestürmt und hätte die
Goldene Stadt eingenommen. Endlich war er am Ziel seiner Wünsche. Es gab nur
ein Hindernis. Die Stadt galt als uneinnehmbar, denn sie war nur über schmale
Dämme zu erreichen, die außerdem noch durch Zugbrücken gesichert waren.
Während Claudius nach seinem ersten Erkundungsritt noch über eine
Strategie nachdachte, waren in der Stadt schon heftige Diskussionen entbrannt.
Längst waren er und seine Männer entdeckt worden. Und zwar von dem Augenblick
an, als ihre Schiffe oder „schwimmenden Häuser”, wie die Bewohner Mexicos sie
nannten, in der Bucht vor Anker gegangen waren. Moctezuma, der Herrscher der
Stadt, der Krieger und Priester in einer Person war, beriet sich mit den Alten
und Weisen. Tage- und nächtelang suchten sie nach Zeichen, die ihnen der Große
Geist schickte. Schließlich einigten sie sich auf eine Taktik, mit der sie die
weißen Männer wohlgesonnen stimmen wollten, und schickten eine Delegation mit
Geschenken und Lebensmitteln zu Claudius. Was als Besänftigung und versöhnende
Geste gedacht war, steigerte dessen Gier nur noch mehr. Und das wiederum blieb
Moctezuma nicht verborgen, denn Quetalcóatl, die Gefiederte Schlange, suchte
auch ihn in seinen Träumen heim. Sie warnte ihn eindringlich vor der Gefahr,
die vor den Toren der Stadt lauerte. In seiner Verzweiflung griff Moctezuma zu
dem falschesten Mittel, das er wählen konnte. Er steigerte den Wert der
Geschenke an die Spanier. Das sollte sich als großer Fehler herausstellen!
Beinahe hundert Träger überreichten Claudius die Geschenke,
besiegelten damit den Untergang der Stadt. Denn als einer der Männer ihm eine
verzierte Sonnenscheibe aus puren Gold überreichte, wusste Claudius
zweifelsfrei, dass er die Goldene Stadt gefunden hatte. Seine indianischen
Verbündeten, die er in kriegerischer Voraussicht
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