Regenbogen-Welt (German Edition)
empor.”
„Nie gehört!”, wiederholte Hazee und blickte sich um. „Ihr
vielleicht?” fragte sie die Freunde herausfordernd.
Kopfschütteln. Nein, niemand hatte bisher von der Ranke gehört
und Saha ärgerte sich, dass Ishtar ihr nichts davon erzählt hatte. Zornig
blitzte sie ihn an. Doch er hielt ihrem erbosten Blick ruhig und unbeeindruckt
stand.
„Bisher hat niemand die Ranke gesehen. Wer weiß, vielleicht gibt
es sie gar nicht”, sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung.
„Wenn wir noch lange hier herumstehen, werden wir es nie
erfahren.” Sahas Stimme durchschnitt scharf wie Glas die Luft. Sie hatte Ishtar
immer noch nicht verziehen. Selbst nicht, wenn er ihr in diesem Moment die
Sonne vom Himmel gepflückt hätte. „Du fliegst am besten vor, Ishtar. Denn du
scheinst einiges zu wissen, was uns bisher verborgen geblieben ist.” Der
vorwurfsvolle Unterton in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Ishtar warf Shirkan einen bedeutsamen Blick zu. Die beiden
kannten Saha zur Genüge. So schnell sie sich über etwas erzürnte, so schnell
verflog auch meist ihr Unmut. Das war typisch für sie. Sie schmollte nie lange.
Und so war es auch dieses Mal.
Sie sah Ishtar davonfliegen und gesellte sich wieder zu Barb und
Hazee. „Was meint ihr, werden wir die Ranke finden?”
Barb zuckte mit den Schultern. „Bald werden wir es jedenfalls
wissen. Ich kann mir bei aller Liebe nicht vorstellen, was das für ein Ding
sein soll. Um in die Zweite Welt zu führen, müsste sie gigantisch sein.
Irgendwie unvorstellbar. Wie eine überdimensionale Bohnenranke etwa?”
Ishtar drehte sich im Flug herum. „Du sagst es!”
Saha war baff. Und Barb auch. Das sah man an ihren aufgerissenen
Augen. Selbst Hazee hielt ihren vorlauten Mund. Und das wollte etwas heißen!
Das Eichhörnchen-Mädchen mit dem buschigen Schwanz hielt das
Schweigen aber nicht lange durch. Sie sah erst Barb, dann Saha und endlich
Shirkan an und brach in schallendes Gelächter aus. Sie war nicht in der Lage,
sich zu beruhigen und hielt sich den Bauch. Tränen kullerten ihre Wangen
entlang. „Ist das köstlich”, gluckste sie. „Ich sehe uns schon alle eine
Riesen-Bohnenranke hochklettern. Das dürfte besonders bei Tuc zum Schießen
aussehen.” Sie sah den kleinen, schwarzen Käfer mit den knallgelben Punkten an.
Tuc verzog das Gesicht in einer Weise, die deutlich zeigte, dass
ihm nicht wohl in seiner Haut war. Saha tat der kleine Käfer leid. Sie mochte
ihn. Er war ein lustiger Geselle. Immer zu Späßen aufgelegt. Und das war nicht
selbstverständlich. Er war der Letzte seiner Art, nachdem ein Unwetter sein
Volk vernichtet hatte. Mit ihm würde einmal seine Rasse aussterben. Wenn er
nicht in den Welten über ihnen ein Weibchen seiner Spezies fand. Allein das war
der Grund, warum er sich auf das Abenteuer dieser Reise eingelassen hatte.
Saha schenkte ihm einen liebevollen Blick. Er war der letzte
Coleoptera. Mit Rührung dachte sie daran, dass sie als Kind den Namen nicht
aussprechen konnte und ihn stattdessen Cleopatra genannt hatte. Tuc hatte das
stets mit kleinen Witzen honoriert und dem ersten Mädchen, das ihm seine Frau
gebar, den Namen gegeben. Die kleine Cleo hatte Saha geärgert, wo sie nur
konnte, und Saha gleichzeitig immer die sprachlichen Schwierigkeiten ihrer
eigenen Kindheit vor Augen geführt.
Tuc war der kleinste Käfer und zugleich eines der kleinsten
Insekten der Ersten Welt. Es bedeutete schon sehr viel Mut, als Winzling mit
auf die Reise zu gehen. Und das gerade zeichnete ihn aus.
Saha hatte Schwierigkeiten sich vorzustellen, dass Tuc auf Ahnen
zurückblickte, die von den Alten immer respektvoll Scarabaeus genannt worden
waren, und die eine besondere Rolle in der Geschichte der untergegangenen Erde
gespielt haben sollten. Gar als Glücksboten gegolten hatten. Wenn Saha Tuc
näher betrachtete, fiel es ihr noch schwerer, das zu glauben. Er lief auf sechs
stachelig behaarten Füßchen neben Hazee her. Sein Körper war dreigeteilt: Auf
dem großen Unterleib mit den schwarzen Flügeln und den Leuchtpunkten saß der
gedrungene, schwarze Oberkörper und ein kleiner Kopf mit überproportionalen
Augen und zwei kleinen, lustigen Fühlern. Hätte Tuc noch gelbe Mokassins
getragen, hätte er noch mehr wie ein kleiner, lustiger Irrwisch ausgesehen.
Saha liebte den putzigen Kerl. Seine tragische Geschichte stimmte
sie jedoch immer traurig. Denn die Gottesanbeterin, mochte sie auch noch so
kapriziös sein, hatte ein großes Herz für
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