Regenbogen-Welt (German Edition)
Stimme überschlug sich beinahe vor
Begeisterung.
Saha sah die kleinen, metallisch schillernden Vögel auf den
herunterhängenden Zweig eines Baumes zusteuern. Sie ließen sich darauf nieder
und trällerten aufgeregt.
„Was sind Himmelskolibris?”, wollte Barb wissen und vermochte es
nicht, die beiden wunderschönen Vogel-Mädchen aus den Augen zu lassen.
„Das sind die Boten der Fünften Welt. Sie sind die Einzigen, die
sich mühelos in allen Ebenen bewegen können.”
„Und wie kommt es dann, dass ich sie noch nie in der Ersten Welt
gesehen habe?”, fragte Saha aufsässig.
Uhura krächzte amüsiert. „Weil sie wohl nicht so interessant ist.
Das müsstest du doch am besten wissen!”
Saha blickte die Eule erstaunt an. Dann warf sie den Kopf in den
Nacken und lachte laut. „Du hast Recht!”, rief sie.
Uhura musterte sie eine Weile, stieg in die Luft und setzte sich
neben die Himmelskolibris.
„Ich grüße euch”, sagte sie freundlich. „Ich heiße Uhura.”
„Guten Tag, Uhura”, trällerten die beiden. „Wir sind India und
Davina.”
Die beiden Kolibri-Mädchen sangen fröhliche, aufmunternde Lieder.
Sie hatten sich nicht lange bitten lassen, Saha und ihr Gefolge zu begleiten.
Nun suchten die Freunde auf einer Lichtung einen Rastplatz. Es dauerte nicht
lange, bis alle schliefen. Nur Saha wieder einmal nicht. Seit sie auf India und
Davina gestoßen waren, hatte etwas ihre Seele berührt. Regen fiel in sanfter
Nässe vom Himmel. Rieselte in weichen, warmen Schauern vom Firmament. Er wusch
etwas in Saha weg. Etwas aus ihrer Erinnerung. Wieder löste sich ein Teil ihres
alten Ichs auf. Etwas formte und bog sie neu. Sie fühlte nicht einmal Schmerz.
Staunend spürte sie, wie sich aus ihren schlanken Chitinarmen fleischliche
bildeten. Sie endeten in Händen mit Fingern.
Fünf Fingern.
TOTEM
Saha wusste am nächsten Morgen nicht mehr, was sich ereignet hatte.
Sie hatte es schlichtweg vergessen. Jemand hatte ihre Erinnerung daran
ausgelöscht. Einfach so. Wie man einen dünnen Bleistiftstrich mit ausradiert.
So fielen ihr auch ihre fleischlichen Arme und Hände nicht auf. Sie bemerkte
nicht einmal, dass sich auch Ishtars Hände verändert hatten. Und diese
Veränderung ging für sie so unbemerkt vonstatten, als hätten sie immer
menschliche Gliedmaßen besessen. Auch den Anderen schien dies zu entgehen.
Vielleicht wurden sie auch nur von Indias und Davinas Geplauder verzaubert und
abgelenkt. Ihre Stimmen klangen so anmutig, man musste ihnen einfach zuhören.
Sie erzählten von der Urgewalt des Ozeans. Dass in ihm eine eigene Welt
schlummere. Eine Welt, völlig abgeschieden von den anderen. Ein geheimer,
verwunschener Ort.
Saha hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie hatte wieder ein Geweih im
Gebüsch gesehen und wusste, dass Biih ihnen folgte. Jetzt stolperte der Tölpel
sogar. Saha konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Was soll der Blödsinn, Biih?
Warum schleichst du hinter uns her? Komm endlich heraus und zeig‘ dich!”,
schrie sie erbost und fragte sich, warum ihre Freunde Biih nicht bemerkt
hatten. Ein Blick in deren Gesichter zeigte ihr jedoch, dass sie den Hirsch
ebenso gewittert hatten. Shashs Grinsen war nie breiter, Hazees Augen nie
leuchtender und Uhuras nie runder gewesen. Sie alle schienen sich köstlich zu
amüsieren.
„Hat dich dein Mut verlassen?”, rief Saha herausfordernd in Biihs
Richtung. Der stapfte mit einem Gesicht, das rot wie ein Granatapfel war, aus
dem Gebüsch. Saha öffnete den Mund, um ihm etwas Ironisches
entgegenzuschleudern, als sie Shirkans warnender Blick traf. Die Sprache seiner
Augen sagte deutlich, dass er genug von ihren Unhöflichkeiten hatte.
„Biih”, sagte er freundlich. „Warum hast du nicht gesagt, dass du
uns begleiten möchtest?”
„Weil er ...” Zu feige ist, wollte Saha dazwischen tröten.
Aber Ishtar kam ihr zuvor. „Du kannst dich uns gerne
anschließen.” Er zwinkerte Biih aufmunternd zu. „Und lass dich nicht von Saha
ärgern. Sie ist halt temperamentvoll.”
Sie gingen über taubenetztes Gras. Saha hatte sich an den
Gedanken gewöhnt, Biih ständig um sich zu haben. Er war zwar zu groß, um ihn zu
ignorieren, aber es war ihr möglich, sich auf die Himmelskolibris zu
konzentrieren. Auf sie und das, was sie über die Welt im Ozean gesagt hatten.
Aber das hörte sich so phantastisch an, dass Saha daran zweifelte, dass es
diese Welt auf dem Grund des Meeres wirklich gab.
Der Himmel verdunkelte sich
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