Regenbogen-Welt (German Edition)
Paars. Dabei
war sie gedanklich weit weg. Sie dachte wieder an den Traum und der Wunsch, in
die Dritte Welt vorzudringen, wurde beinahe übermächtig. Aber die Zweite Welt
hielt noch einige Überraschungen für sie bereit.
Jeeshoos Angriff traf die kleine Gruppe völlig unvorbereitet. Der
Bussard hatte Saha und Azaa nicht vergessen. Seine Wut, dass sie ihm entwischt
waren, hatte sich noch gesteigert. Wie ein Pfeil schoss er auf sie herab und
versuchte nach Hazee zu schnappen. Es war nur Jabani, deren Blick ohnehin immer
am Himmel weilte, zu verdanken, dass Hazee mit dem Schrecken davonkam. Die
Fledermaus stieß einen warnenden Schrei aus und stieß Hazee aus der
Gefahrenzone. Shash fuhr bei Jabanis Warnung herum, erstaunlich geschmeidig für
seine Fülle, und schlug mit der Tatze nach Jeeshoo. Bohrte seine gewaltigen
Krallen in das Fleisch des Greifvogels und riss tiefe Wunden hinein. Der
Bussard, gerade im Begriff, wieder in die Luft zu steigen, kreischte
schmerzerfüllt auf. Er flog taumelnd einige Kreise über Shashs Kopf und schrie
erneut auf. Tropfen seines Blutes fielen schwer auf die Erde und auf Shash
nieder. Wieder ertönte ein Schrei. Saha erschauerte. Es war der Schrei eines
Todgeweihten. Jeeshoo breitete ein letztes Mal seine Schwingen aus, dann fielen
sie kraftlos gegen seinen Körper, und er stürzte wie ein Stein vom Himmel zu
Boden.
Saha betrachtete den einst so stolzen Vogel. Er lag mit
emporgestreckten Klauen auf dem Rücken vor ihr. Seine Augen blickten gebrochen
zum Himmel. Azaa strich mit einem Beinpaar über den regungslosen Körper. Dabei
murmelte sie Worte in einer Sprache, die Saha nicht kannte, die sie aber
seltsamerweise vom Inhalt her verstand. Die Spinne bat den Großen Geist um die
Wiedergeburt der verdammten Seelen, die in Jeeshoo gefangen waren. Und Saha
wurde nach Barbs Geburt Zeuge des nächsten Wunders. So empfand sie es
zumindest.
Die kostbaren Federn des geflügelten Ungeheuers erwachten zu
neuem Leben. Sie bewegten sich, formten neue Körper.
„Das haut mich um”, hörte Saha Hazee respektlos neben sich sagen.
Kleine Vögel aller Art erhoben sich aus Jeeshoos Federkleid und schwangen in
die Luft auf. Flogen wie ein schillernd bunter Teppich davon. So lange, bis von
dem Körper des Bussards nichts mehr übrig war.
Während sie weitergingen, redeten sie alle wild durcheinander.
Jeder wollte die denkwürdige Szene anders gesehen haben. Jeder verwies auf ein
anderes Detail. Es dauerte lange, bis sie sich auf eine Variante einigen
konnten.
„War es eine Vision oder Wirklichkeit?”, fragte Tuc
verschüchtert.
Das hatte sich Saha auch die ganze Zeit gefragt. Hatten die Götter
sie zum Narren gehalten?
Saha zog diese Möglichkeit zumindest in Erwägung. Verwarf sie
aber gleich wieder. Es gab einen unüberhörbaren Beweis. Seit aus Jeeshoos
Federkleid die Vögel aufgestiegen waren, war die Zweite Welt um ein Geräusch
reicher. Vogelgezwitscher begleitete sie. Es klang so fröhlich zu ihnen
herüber, dass sich Saha davon anstecken ließ und laut lossang. Barb und Hazee
stimmten bereitwillig ein. Jabani verkniff es sich. Sie war nicht gerade die
musikalischste. Dafür sang Kasur lauthals mit. Saha verstummte für einige
Sekunden beim Klang der klaren und weichen Stimme der Schlange. Erstaunt, denn
sie hatte sie noch nie zuvor vernommen, aber dann trällerte sie glücklich
weiter.
Sie sangen bis zur Abenddämmerung. Erst als sich der Tag zurückzog,
verstummte der Gesang der kleinen Gruppe, die eigentlich gar nicht mehr so
klein war.
Saha sehnte die Nacht herbei. Sie litt unter dem Schlafmangel der
vorherigen, als die innere Unruhe ihr den Traum geschickt und sie wach gehalten
hatte. Sie fühlte sich wie das Opfer von Vampir-Fledermäusen, das beinahe
seines gesamten Blutes beraubt worden war. Aber Barb und den Freunden ging es
nicht viel anders.
„Puh, ich fühle mich, als hätte mich eine von Jabanis
blutrünstigen Verwandten ausgesaugt.” Saha ließ den Kopf hängen.
„Ich auch”, sagte Barb und ließ nicht nur den Kopf, sondern auch
die schönen Flügel sinken. Sie sahen alle nicht gerade taufrisch aus. Und was
noch schlimmer war, sie fühlten sich schmutzig. Nicht nur äußerlich, sondern
auch innerlich. Saha hatte noch nie in ihrem zugegeben sehr jungen Leben ein
solches Empfinden gehabt. Sie versuchte zu ergründen, seit wann sie sich so
besudelt fühlte und kam zu dem Schluss, dass es an dem Tag angefangen hatte,
als sie die Drachenstadt verlassen
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