Regenbogen-Welt (German Edition)
nicht. So war das immer, wenn etwas
– wenn jemand – sie begeisterte. Dann gab es für sie kein Halten mehr. Darin
glich sie Saha wie ein perfekter Zwilling.
Barb und Yoolgai lagen sich in den Armen.
Saha fuhr sich mit der Hand über die Augen. Glaubte ihrer
Sehkraft nicht zu trauen. Die beiden Gestalten verschmolzen plötzlich und
wurden eins. Bis nur noch Yoolgai übrig blieb. Doch Saha wusste mit
Bestimmtheit, dass es Barb war, die ihr mit Yoolgais Gesicht entgegensah.
Yoolgai war Barb.
Oder umgekehrt.
Dann wechselte das Traumbild.
Die Totempfähle tauchten wieder auf. Dichte Wolkenwände hingen
über ihnen. Nilchi, der Wind, blies sie auseinander, und da war es – das
Goldene Gebetstor.
Saha sah sich zwischen den Totempfählen laufen. Aufgeregt auf der
Suche nach einer Möglichkeit, hinauf in die Wolken und an das Tor zu kommen.
Aber es gelang ihr nicht. Sie war unglücklich. So unglücklich, dass sie laut zu
weinen begann ... und aufwachte.
Der Traum ließ Saha nicht los. Auch nicht, als sie sich auf dem
Weg zurück zu den Totempfählen befanden. Sie konnte sich einfach nicht von dem
Gedanken lösen, dass Yoolgai und Barb eins sein sollten. Mehr noch beschäftigte
sie aber das Goldene Gebetstor. Sie wusste, sie musste es durchschreiten, um
Barb zurückzuholen. Aber wie?
In meinen Gebeten, durchzuckte es sie. Kann ich das Tor in meinen
Gebeten durchschreiten? Niemand konnte ihr darauf eine Antwort geben. Und sie
beschloss, es einfach zu versuchen.
Hazee ging schon eine Weile neben ihr. „Das war schon ganz schön
gespenstisch, als Yoolgai auftauchte, nicht wahr?”
Saha nickte und warf dem temperamentvollen Eichhörnchen einen
zurückhaltenden Blick zu. „Das stimmt”, antwortete sie einsilbig.
Hazee kannte das. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte: Saha
wollte nicht über das Thema reden.
Aber Hazee wollte!
„Sie ist sehr schön.“ Hazee zögerte. Sie wog ab, ob sie Saha wirklich
ihre Vermutung mitteilen sollte. Würde Saha sie für verrückt erklären? Hazee
lächelte still in sich hinein. Das Risiko musste sie eingehen. Das ist für mich
ja nichts Neues, dachte sie. „Sie ist sehr schön, und sie erinnert mich
irgendwie an ...”
„Barb”, beendete Saha den Satz und hätte über Hazees Reaktion
beinahe gelacht.
Die riss die Augen auf, achtete nicht, wohin sie trat und
stolperte prompt über eine Wurzel. Saha hielt sie im letzten Moment fest, sonst
wäre Hazee gestürzt.
„Hoppla”, rief Saha lachend.
Hazee fing sich erstaunlich schnell. „Also hast du es auch
bemerkt.”
Saha nickte. „Und bevor du mich weiter löcherst: Ich weiß auch
nicht, was das zu bedeuten hat.”
Sie sahen die Totempfähle schon, als sie nur kleine Punkte am
Horizont waren. Saha spürte die Spannung, die wie körperlicher Schmerz in ihr
aufstieg. Ihre Freunde teilten ihn. Das las sie in ihren Augen. Schritt für
Schritt traten sie näher an die Totems heran. Gönnten sich keine
Verschnaufpause. Verlangsamten ihren Schritt erst, als sie den ersten Pfahl
erreichten. Den, den Taiowa bewohnte. Und jetzt auch Barb. Saha hörte nicht auf
die warnenden Rufe ihrer Freunde und schüttelte Ishtars und Shirkans Hände von
ihrem Arm. Es gelang ihnen nicht, sie zurückzuhalten.
„Lasst mich”, sagte sie leise, aber bestimmt. „Ich weiß, was ich
mache.”
Das hoffte sie zumindest.
Saha hatte sich vor das Totem gekniet, das Barb in sich
hineingezogen hatte und fing an zu beten. Sie betete das erste Mal in ihrem
Leben wirklich. Dabei hielt sie ihren Oberkörper kerzengerade und erhob die
Arme wieder über den Kopf. Streckte sie einer unbekannten Größe entgegen.
Hinter ihr saßen die Freunde. Verfolgten gebannt das Schauspiel,
das sich ihnen bot, und waren alle von dem Wunsch beseelt, dass Sahas Gebete
erhört werden mochten.
Wind brandete auf. Aber es war nicht Nilchi. Der jetzige Wind war
negativ und bösartig. Tobte wie ein wütender Dämon über ihnen und lockte Taiowa
aus seinem Pfahl.
Der Totemgeist lachte schaurig.
„Du hast mich gerufen?”, fragte er und deutete auf Saha, die
furchtlos zu ihm aufblickte.
„Wo ist Barb?”, rief sie ihm zornig entgegen. „Und was hast du
mit ihr gemacht?”
Taiowas Lachen erklang ein weiteres Mal. „Deiner Freundin geht es
gut.” Er zischte genervt. „Sie kann eine wahre Plage sein.”
Barb lebt, dachte Saha erfreut, bei den Göttern, sie lebt! Dann
konzentrierte sie sich wieder auf ihre Gebete, in denen sie
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