Regenbogen-Welt (German Edition)
zurück, schon vergessen?”
Natürlich hatte das keiner der Freunde vergessen.
Als der vierte Tag zur Neige ging, waren sie völlig entkräftet,
und der Hunger hatte deutliche Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen.
Schlimmer, viel schlimmer jedoch war der quälende Durst. Als die Dämmerung der
Nacht die Welt anbot, fielen Saha und ihre Freunde in eine Art Delirium.
Visionen zogen an ihnen vorbei. Geister, die heiter um Holzpfähle tanzten und,
wenn sie Ruhe benötigten, in die Totems einzogen, erschienen ihnen. Es war ein
unbeschwertes Bild der Freude. Dann eine dunkle Wolke. Taiowa bemächtigte sich
ihrer, verbannte sie auf Dauer in die Pfähle. Es gab kein Entrinnen vor ihm.
Diese Visionen zu deuten, fiel nicht schwer. Andere aber waren so wirr, dass
sich Sahas Geist davor verschloss. Er konzentrierte sich wieder auf Taiowa und
das Goldene Gebetstor, das sie durchschreiten sollte. Und plötzlich erstrahlte
es in einem so hellen Licht vor ihr, dass sie geblendet die Augen schloss. Fest
verschlossen schwebte es vor einer Wolkenformation, verwehrte Saha den Einlass.
Einlass wozu? Wohin?
Sie drängte die berechtigte Frage beiseite und schickte ein weiteres
Stoßgebet zum Himmel. Ich habe das Tor gefunden, Yoolgai. Nun hilf mir. Schick
mir den Großen Geist, dachte sie inbrünstig. Das Gesicht der jungen Navajo-Frau
erschien ihr. „Den Weg zu dem Herrn aller Dinge musst du allein finden. Wandle
weiter auf dem ‚Inneren Pfad der Kraft‘.”
Yoolgai zog sich aus Saha zurück. Die Gottesanbeterin richtete
ihre geistige Kraft nur auf das Tor. Spürte, wie sie ihm entgegen strebte.
Worte kamen ihr in den Sinn, die leise flüsternd von ihren Lippen flossen.
„Großer Geist, Hüter über Sonne, Mond, Himmel und Ozean, hauche mir deinen Atem
ein. Lass deinen Blick auf mir ruhen und segne mich mit deiner Weisheit. Mein
Herz dankt dir für die Schönheit des Lebens und verneigt sich vor dir in Liebe.
Es beugt sich der Veränderung, wie der ständige Wechsel der Gezeiten.”
Ein warmer Strom durchfuhr sie. Saha hätte am liebsten geschrien,
als sich das Goldene Gebetstor nur einen winzigen Spalt öffnete, durch den Barb
flatterte. Die Schmetterlings-Frau schoss weinend und lachend zugleich auf Saha
zu und umarmte sie.
Und da endlich drang der erlösende Schrei von Sahas Lippen.
“BARB!”
Sie hatte Angst, entsetzliche Angst, dass die Vision endete und
Barb immer noch in Taiowas Fängen war. Aber als Saha die Augen öffnete, sich
ihr Geist wieder stabilisierte, fühlte sie sich immer noch in der
temperamentvollen Umklammerung der Freundin gefangen.
„Barb!”, rief sie erneut. Dieses Mal erleichtert und mit einem
solchen Glücksgefühl, das sie noch niemals in ihrem Leben verspürt hatte. Sie
löste sich von der Freundin. Sie hatten sich so viel zu erzählen, aber Saha
spürte, dass Taiowa nicht kampflos auf Barb verzichten würde. Er benötigte ihre
lebensspendende Energie und war wie ein Schmarotzer darauf angewiesen.
Sie waren noch längst nicht in Sicherheit.
Saha starrte in die entrückten Blicke ihrer Freunde. Wollte ihnen
zurufen, dass Barb zurück war und dass sie sich vor Taiowas Zorn in Acht nehmen
mussten, als er auch schon über sie hereinbrach. Seine gierigen Finger griffen
hektisch nach Barb, deren Gesicht einen erschöpften Ausdruck trug. Taiowa hatte
ihr schon mehr Energie geraubt als gut für sie war. Im Grunde ihres Herzen
hatte Saha die ganze Zeit gewusst, dass Taiowa sie in der Hand hatte. Er wollte
ein Opfer. Wenn nicht Barb, dann ein anderes.
Barb schrie auf und versteckte sich ängstlich in Shashs dichtem
Pelz. Die Anderen liefen wirr durcheinander. Sie standen eindeutig noch unter
dem Einfluss der Visionen und ihre Kräfte, ohnehin durch das Fasten geschwächt,
befanden sich auf dem Nullpunkt. Sie hatten Taiowa nichts entgegenzuhalten.
Das ist das Ende, dachte Saha und blickte sich Hilfe suchend um.
Ein gewaltiger Schatten fiel über sie.
Biih.
Der Hirsch blickte Saha lange und ernst an. Dann ging er festen
Schrittes an ihr vorbei und baute sich vor Taiowa auf.
Der Unendliche lachte schaurig. „Was willst du denn, Angsthase?”,
fragte er provozierend.
Biih ließ die offensichtliche Beleidigung ohne mit der Wimper zu
zucken über sich ergehen. In seinem Blick lag wohl etwas, das Taiowa stutzig
machte. Er schoss zurück in das Totem und wurde eine hölzerne Gestalt, in die
Dämonen der Dunkelheit Leben eingehaucht hatten.
„Was ist nun?”, schleuderte er Biih
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