Regenbogen-Welt (German Edition)
daran, was Hiawatha
gesagt hatte: „Das rote Volk steht der Natur sehr nah.”
Ihr Blick schweifte wieder einher. Was sie sah, war derart schön,
dass sie sich fragte, warum man dieser Oase des Friedens den Namen das
Verlorene Tal gegeben hatte.
Hiawatha wusste die Antwort. Dessen war sich Saha sicher. Sie
hatte sich schon lange gefragt, wozu der rothäutige Schamane fähig war. Nach
den langen Gesprächen, die sie mit ihm geführt hatten, wusste sie die Antwort.
Er war ein Vermittler des Übernatürlichen. Wandelte beinahe spielerisch auf dem
schmalen Grad zwischen Diesseits und Jenseits. Geheimnisvolles Verschwinden in
andere Welten und Ebenen gehörten ebenso zu seiner Macht, wie die Fähigkeit,
mit Geistern in Verbindung zu treten. Er war vieles in einer Person. War
Uwanami, der Regenmacher, Medizinmann und hatte die Macht, mit der Kraft der
Kräuter zu heilen. Bediente sich dabei geistiger Kräfte, sprach Regengebete und
Beschwörungsformeln für eine erfolgreiche Jagd. Er sah mit dem inneren Auge,
war ein Prophet des Universums. Und die Dorfgemeinschaft, die sie so freundlich
aufgenommen hatte, waren Reinkarnationen indianischer Seelen. Waren Tote des
roten Volkes und bildeten somit seine Gefolgschaft.
Am beeindruckendsten aber war die Tatsache, dass Hiawatha die
Macht hatte, ihnen Visionen zu schicken.
Diese Vision.
Barb, die ebenso wie Saha und Ishtar auf der Suche nach ihrem
geistigen Weg war, war zu seiner Tochter geworden. Sie war zur Ersten Frau des
neuen, roten Volkes geworden. Und dann wurde Saha klar, warum dieses Tal seinen
Namen trug: Wer einmal dem mystischen Leben hier verfallen war, kam nicht mehr
davon los. Verlor sich darin.
Sie spürte Angst, dass es auch Barb nicht gelang zurückzukehren,
und blickte in Hiawathas imaginäres Gesicht. „Du wirst sie doch nicht
hierbehalten?”, fragte sie ängstlich. Dann fasste sie sich an die Stirn. „Aber
das ist ja unmöglich, dafür müsste sie sterben. Und das wird nicht geschehen.
Sie ist noch so jung und hat noch so viel Zeit.”
Der Schamane schüttelte den Kopf. „Du weißt nie, wann du
auserwählt wirst. Der Tod schenkt uns keine Zeit. Mit jedem Herzschlag kommen
wir dem Verlorenen Tal näher.”
Saha stieß einen erschrockenen Laut aus. „Du wirst doch nicht
...”
Hiawatha lächelte vielsagend. „Natürlich nicht! Noch nicht!”
Barb fühlte Sahas Kampf und deren Sorge. Sie versuchte mit ihrer
weißen Schwester in Kontakt zu treten. Ihre geistigen Fühler suchten Sahas
Gedankenbausteine. Erneuerten ihre telepathische Verbindung. Die Wege ihrer
Herzen waren immer dicht nebeneinander gewesen, auch wenn ihre Gedanken und
Empfindungen kurzzeitig auseinandergegangen waren.
Der Vollmond überzog das Blätterdach des Waldes mit silbrigen
Lichtstreifen. Es war eine helle Nacht, die genährt von den Kräften des Großen
Geistes war. Die irreale Stimme des Waldes lullte Saha ein. Das Rauschen der
Bäume, Wispern des Windes und Grummeln der Büsche.
Nachdem sich Hiawathas Gesicht vor ihnen aufgelöst hatte, dachten
sie, er ließe sie aus der Vision frei. Aber dem war nicht so. Er gab einen
winzig kleinen Teil seiner Spiritualität an Barb weiter. Hauchte ihn ihr wie
einen sanften Kuss auf ihre Stirn. Barb spürte dankbar, dass dadurch ein
Miteinander mit Saha wieder möglich war.
„Komm”, wisperte sie in Sahas Gedanken hinein, „komm ich zeige
dir den Wald.”
„Welchen Wald”, wollte Saha wissen.
„Den Zauberwald. Den Wald der Toten, in dem ich Hiawatha mit dem
heiligen Boten, dem Adler, sah.” Zusammen flossen ihre Geister fort. Durch die
Wolken und den Wald.
Die Vision ließ sie wieder frei. Abrupt und ohne Vorwarnung. Die
Wirkung des Peyote verebbte und schickte sie zurück in die Wirklichkeit. Saha
und Barb fanden sich in dem Kreis ihrer Freunde wieder. Das Feuer war
heruntergebrannt. Schwelte aschgrau vor sich hin und sandte keinerlei Wärme
mehr aus.
Hiawathas Gesicht zeigte Spuren der Erschöpfung und Müdigkeit.
Mit abwesendem Gesichtsausdruck erhob er sich. Auch die anderen Gäste des Pow
Wow verließen die Feuerstelle und zogen sich in die ihnen zugewiesenen Zelte
zurück.
Diesmal war es Saha, die zurückblieb, als auch ihre Freunde
aufbrachen. Die Vision und der Zauberwald ließen sie noch nicht los. Sie ging
einige Schritte und fand sich am Ufer des Silberflusses wieder.
Saha wusste nicht warum, aber das sanft dahinfließende Gewässer,
entlockte ihr ein Lied. Eines, das sie bewusst noch nie gesungen hatte,
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