Regenbogen-Welt (German Edition)
Recht. Es ist an der Zeit!”, sagte er
mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Dann winkte er Winterdonner
herbei. „Hole die Pfeife, mein Sohn.”
Winterdonners Gesicht trug immer noch den gewohnt verkniffenen,
an Unfreundlichkeit grenzenden Ausdruck, als er die Pfeife brachte. Sie hatte
einen runden, steinernen Kopf, der die Weiblichkeit, und einen langen Schaft,
der die Männlichkeit symbolisierte. Das Holz war mit Streifen in rot, schwarz,
weiß und gelb versehen. Den Farben der vier Menschenrassen.
Hiawatha streckte die Pfeife wie einen kostbaren Schatz von sich.
Hielt sie Saha mit feierlichem Ernst entgegen. Erst jetzt sah sie, dass
Winterdonner sie bereits mit Tabak versehen, gestopft und entzündet hatte.
Aromatischer Rauch stieg daraus empor.
„Diese Pfeife symbolisiert das Universum”, flüsterte Hiawatha
beschwörend. „Sie ist wie ein heiliger Altar, der uns überallhin begleitet.” Er
sog an dem Mundstück und blies den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen. „Der
Rauch der Pfeife ist der Atem des Großen Geistes!” Er reichte die Pfeife weiter
an Winterdonner. Der zog ebenfalls daran und blies den Rauch, wie zuvor sein
Vater, in alle Himmelsrichtungen. Dann gab er die Pfeife an Barb weiter.
Als die Pfeife die Runde gemacht hatte, bewegte sich der Rauch
plötzlich aus den vier Himmelsrichtungen wieder auf sie zu. Vereinte sich zu
einer Dunstglocke, die sie alle einhüllte. Dann waren sie gefangen in einer
weiteren VISION.
Sie sahen Berge. Zerklüftete Gesteinslandschaften. Vereinzelte
Felsbrocken, die wie natürliche Kultgegenstände in den Himmel ragten.
Dazwischen geschmückte Holzkonstruktionen, die zwei Meter über dem Boden –
Bahren gleich – Toten mit über den Brüsten gekreuzten Händen Platz boten.
Barb hatte das Gefühl, durch die Ewigen Jagdgründe zu laufen. Das
Totenreich flößte ihr Angst ein. Tastend und taumelnd stolperte sie an den
Bahren vorbei. Hinter sich hörte sie Saha keuchen. Gottlob ließ die Freundin
sie nicht im Stich. Barb fühlte Angst wie Efeu in sich hinaufkriechen. Angst,
dass das Totenreich sie nicht mehr freiließ. Ihr Blick fiel auf das maskenhafte
Gesicht eines Dahingegangenen, dessen letzte Ruhestätte auf einem Felsvorsprung
unter ihnen lag. Eine gestaltlose Stimme trauerte wehklagend um ihn.
Dunkle, verzerrte Schattenwesen bewegten sich um Barb und Saha
herum. Saha schaute zwischen den aufgebahrten Toten hindurch auf einen Punkt am
Horizont. Erspähte dort ein helles Energiebündel, das näherfloss und an Größe
zunahm.
Barb keuchte auf und griff nach Sahas Arm. Umklammerte ihn. Der
Wind klagte leise. Barb zerrte heftiger an Sahas Arm.
„Lass das, Barb!”, rief diese.
Das Licht nahm Gestalt an. Flackerte. Wechselte wieder die
Gestalt. Immer wieder. In einer Geschwindigkeit, die für Sahas und Barbs Augen
nicht greifbar war. Der Wind flüsterte ihnen etwas zu. Und dann sahen sie es.
Die Lichtgestalt nahm feste Konturen an. Eindeutig weibliche. Das
Erschütternde daran war, dass sie alle die Gestalt kannten.
Es war Iman!
Iman hatte ebenfalls menschliche Züge. Sah wie ein überirdisches
Wesen aus.
Hiawatha nickte zufrieden. „Es ist schön, dich zu sehen,
Schwester!”
Saha stieß einen spitzen Schrei aus. Plötzlich wusste sie, wen
sie vor sich hatten. Iman, war die weiße Magierin! Der zweite Schamane.
„Iman!”, rief sie erfreut.
Iman verzog das Gesicht zu einem flüchtigen Lächeln. „Ich sagte
dir doch, dass ich immer bei euch bin.” Sie musterte Saha ernst. „Ich sehe,
dass die Reise nicht spurlos an dir vorbeigegangen ist.”
Saha nickte und streckte die Hände aus. „Ich sehe nicht mehr so
wie früher aus”, gestand sie zögernd.
Iman machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und nun seid ihr hier
im Verlorenen Tal. In den Ewigen Jagdgründen. Im Totenreich des roten Volkes.
Jeder, der stirbt, gelangt in ihre Obhut.”
Saha riss die Augen auf. „Heißt das, dass alle, die wir bisher
gesehen haben, tot sind?”
Iman gab einen amüsierten Laut von sich. „Nicht ganz, aber
annähernd. Das zu erklären, würde Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte dauern. Doch
das ist Vergangenheit. Es gibt nur eins, worauf es ankommt. Die Zukunft.
Hiawatha und ich bilden eine Brücke, eine Verbindung der beiden Völker. Wir
besitzen die seltene Gabe, uns völlig auf ein anderes Lebewesen einzulassen.”
Sie lächelte. „Und wir haben euch für die Neue Rasse erwählt. Euch, Saha und
Barb! Denn so, wie sich eure
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