Regenbogen-Welt (German Edition)
Winterdonner zustimmend zunickte, spürte
Saha wieder eine Kluft zwischen ihnen, die nicht tiefer hätte sein können. Sie
fühlte sich ausgeschlossen, wie der unerwünschte Zwilling, den niemand wollte.
Sie kauten weiter die Peyoteköpfe. Die Wirkung ließ nicht lange
auf sich warten. Nach kürzester Zeit begannen sie leise zu singen und wiegten
sich im Takt. Saha schloss die Augen. Leichter Schwindel erfasste sie. Sie
fühlte sich eins mit dem Universum. Spürte tiefe Liebe in sich. Etwas, eine
Größe, die nicht greifbar, nicht körperlich war. Und zum ersten Mal den Großen
Geist. Er füllte jede Zelle, jede Pore ihres Körpers und Geistes. Hiawathas
Worte vor Beginn des Pow Wow drangen in ihr Gedächtnis: „Die Peyote-Versammlung
ist eine Zusammenkunft der Herzen.”
Und Sahas Herz war übervoll.
Hiawatha reichte in Sonnenrichtung eine Schale Wasser herum. Das
Wasser des Lebens schmeckte mineralisch bitter. Es rann wie ein eisiger,
gerader Strich Barbs Speiseröhre hinunter. Die Wirkung des Lebenselixiers
vermengte sich mit der des Peyote. Übte neue und gebündelte Kraft und nie
gekannte Energie auf die Sitzenden aus. Ein junger Mann erhob sich und schlug
eine Trommel. Barb schloss die Augen. Jeder Schlag zog in ihren Körper. Wurde
eins mit ihrem beschleunigten Herzschlag. Ihre Pupillen weiteten sich, und ihr
verschleierter Blick wanderte zu Saha und den Anderen. Deren Blicke waren
seltsam entrückt. Und dann begann sie.
Die gemeinsame VISION.
Hiawatha erhob sich. Der Hüter des Verlorenen Tals vollführte
mystische Tänze, um Wunder herbeizurufen. Wunder, die den Großen Geist
zurückbringen sollten. Er sang Lieder und zelebrierte den Geistertanz mit einer
Inbrunst, die an Besessenheit grenzte. Er trug ein ledernes Hemd mit
merkwürdigen Zeichnungen, die seltsam lebendig wirkten. Es war das Magiergewand
des roten Volkes. Mit erstaunlich klarer und fester Stimme sang Hiawatha,
tanzte dazu, und bald schon stimmten die Anderen in den Gesang ein. Er
steigerte sich immer mehr. Wurde lauter, schriller und verstummte von einer
Sekunde auf die andere, als Hiawatha die Hände hob. Saha lauschte fasziniert
seiner Stimme.
„Freunde, es ist an der Zeit. Alles Leben wurde auf der Erde
vernichtet. Nun wird das rote und weiße Volk gemeinsam zu den Lehren des Großen
Geistes zurückkehren und danach leben. Durch diese beiden Frauen!”
Saha fühlte Barbs Hand an ihrem Arm, als Hiawatha auf sie zeigte.
Sie öffnete den Mund. Hiawathas Worte hatten Donnerhall und Wetterleuchten in
ihren Kopf gezaubert. Aber die fragenden, die erlösenden Worte wollten einfach
nicht ihrem Mund entschlüpfen. Die Vision hielt sie zu sehr gefangen. Sie war nur
eine Zuschauerin, eine Statistin. Konnte nicht direkt auf das Geschehen
einwirken. Konnte bestenfalls die Bilder, die ihr suggeriert wurden, in sich
aufnehmen.
Barb erging es ebenso.
Hiawatha schien das zu spüren. Er beugte sich näher zu ihnen
herab und schnippte mit den Fingern. Ein neues Bild formierte sich vor ihnen.
Es zeigte das Dorf. Und Barb, die am Ufer des Silberflusses stand. Von Saha,
die auf einem Felsen saß, beobachtet. Saha lachte glücklich, als sie Barb am
Flussufer stehen sah. Die Freundin winkte rothäutigen Jugendlichen zu, die
unter Jubel und lautem Geschrei ein wildes Kanu-Ralley veranstalteten. Ihre
bunten, spitzen Boote, die sie mit allem Möglichen geschmückt hatten, schossen
wie Pfeile über das Wasser, das, durch pausbäckigen Wind traktiert, hohe Wellen
schlug. Das Jauchzen der jungen Männer durchdrang nur mäßig das Geräusch des
Wassers. Geschickt paddelten die verwegenen Burschen durch die Wellen.
Verschwanden dann aus Barbs und Sahas Blicken.
Saha fühlte immer noch Erstaunen, wenn ihr Blick an Barb
hängenblieb. Die spirituelle Wandlung der Freundin war beinahe abgeschlossen.
Sie glich Yoolgai wie ein eineiiger Zwilling. Und erstmals fiel Saha auf, dass
die Ansätze der ehemaligen Flügel ebenfalls verschwunden waren. Saha glitt von
dem Felsen und lief auf die Freundin zu. Trat an das Ufer heran, das ein
breiter, leuchtend weißer Sandgürtel säumte. Das Wasser war trotz der Bewegung
so klar, dass sie bis auf den Grund blicken konnte, den tausend oder
abertausend Muscheln bedeckten. Dazwischen bewegten sich kleine, rote Krebse
mit zackigen Bewegungen über den Flussboden. Saha blickte sich um. Kaum
merklich bewegten sich die Bäume im sanften, warmen Wind. Und während die
braungrünen Astarme in den Himmel griffen, dachte sie
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