Regenbogen-Welt (German Edition)
Körper wandeln, muss auch der Geist eine andere
Persönlichkeit entwickeln.”
Saha war sprachlos. Iman und Hiawatha waren ein Gefüge. Sie
verkörperten die Magie zweier Völker. Zweier untergegangener Völker.
Saha und ihren Freunden sollte nun auf der Suche nach ihrem
geistigen Weg vor Augen geführt werden, wozu Spiritualität fähig war. Welche
Möglichkeiten sie eröffnete. Und dass zwei Mächte nebeneinander existieren
konnten. Aber die Dritte Welt hatte die Freunde noch etwas Wichtiges gelehrt.
Jegliches Leben war einem Kreislauf unterworfen. Endete nie. Daraus
resultierte, dass die Vergangenheit sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft
beeinflusste. Ihre gemeinsame Vergangenheit und Zukunft.
Wie diese Zukunft aussehen könnte, ahnte Saha bereits. Aber ihre
Vergangenheit, jene Zeit vor dem Entstehen des Insektenvolkes in der Ersten
Welt, lag noch im Dunkeln. Sie hatten zwar durch Hiawatha einen flüchtigen
Blick in die Welt des roten Volkes geworfen. Auf ihre Sitten und Gebräuche.
Aber das Bild war trotzdem noch unvollständig. Es fehlte ein entscheidender
Teil.
Vielleicht gibt ja die Vierte Welt darüber Aufschluss, dachte
Saha und ihr Blick wanderte zu Barb. Doch die hatte ihr Gesicht Maiitsoh
zugewandt. So drehte sich Saha zu Iman herum. „Wie gelangen wir in die Vierte
Welt, Iman?”, fragte sie leise.
Hiawatha stellte sich neben sie. „Ihr wollt schon in die Vierte
Welt?”, fragte der alte Schamane und blickte erst Saha und Barb und dann seine
weiße Schwester an. Iman nickte ihm unmerklich zu.
„Das ist nicht möglich”, sagten sie wie aus einer Stimme. Saha
hätte vor Enttäuschung am liebsten aufgeschrien. Doch die Magier sprachen
weiter. „Ihr habt immer noch nicht verstanden, welch schicksalhafte Verbindung
zwischen den beiden Völkern besteht. Seht selbst. Denn erst wenn ihr das rote
Volk verstehen lernt, seid ihr bereit für die Vierte und Fünfte Welt. Erst dann
seid ihr würdig aufzusteigen. Daher seht und versteht!” Sie sahen sich tief in
die Augen, murmelten vor sich hin und Nebel legte sich über das Land.
DER EROBERER
Am Horizont des blausilbrig schimmernden Ozeans wurden Schiffe
sichtbar. Wie sie das rote Volk noch nie gesehen hatte. Und als wäre es ein
Zeichen, brandete Sturm auf. Unbarmherzig peitschte er das Wasser. Hohe Wellen
bäumten sich auf und brachen mit zischendem Tosen. Dabei fauchte das Meer wie
ein wütender Tiger. Hinter dichten Büschen versteckt, beobachteten die Späher
des roten Volkes die Schiffe mit ihren riesigen Segeln, die wie übergroße weiße
Möwenschwingen im Wind flatterten. Die sich immer wieder stolz aufblähten.
Die Späher waren nicht sicher, ob ihnen Unheil drohte. Ob sich
ihnen eine Gefahr näherte oder nicht. In ihre Unsicherheit mischte sich
angeborene Neugier, die mit jeder Meile, die die Schiffe näherkamen, größer
wurde. Aufgeregt tuschelten die Späher miteinander. Deuteten mit
temperamentvollen Gesten immer wieder in die Richtung; aus der die Schiffe
heran segelten. Freuten sich auf das, was über das Meer zu ihnen kam. Keinerlei
Argwohn ruhte in ihnen. Und das besiegelte ihr Schicksal.
Als Claudius einen Fuß an Land setzte und in das erste rothäutige
lachende Gesicht blickte, stand für ihn fest, das liebenswerteste Volk, frei
von jeglicher Habgier vor sich zu haben. Die halbnackten Späher umkreisten ihn
und betrachteten seine Beinkleider mit lebhaftem Interesse. Als sie ihn
ausgiebig gemustert hatten, fuchtelten sie wild mit den Händen vor seinem
Gesicht herum und zeigten immer wieder in die Richtung, in der wohl – wie
Claudius vermutete – ihr Dorf lag. Dabei sprachen sie eifrig in einer
unverständlichen Sprache auf ihn ein.
Sieben Jahre hatte Claudius sein Ziel verfolgt, den westlichen
Teil Indiens zu entdecken. Zäh und ausdauernd ließ er sich nicht von seinem
Vorhaben abbringen. Als er und seine Männer die Schiffe bestiegen, überkam ihn
ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Aber auch des Zweifels. Denn er war
Autodidakt. War bei Weitem nicht so gebildet und selbstsicher, wie es den
Anschein erweckte.
In mühevoller Arbeit hatte er sich alle notwendigen Disziplinen
wie Nautik angeeignet. Aber innerlich beherrschten ihn Selbstzweifel, ob sein
Wissen für eine solche Seereise ausreichte. Allzu lange hielten diese
allerdings nicht an. Immerhin hatte er einen zusätzlichen Trumpf im Ärmel. Eine
geheime Karte, die ihm den Weg nach Westindien zeigen sollte. Niemand wusste
davon. Niemand, bis auf einen:
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