Regenbogen-Welt (German Edition)
sie sich geklammert hatte. Sie schloss die Augen. Fragte
sich, ob Hiawatha und der Adler real gewesen waren. Oder ob sie eine Vision
heimgesucht hatte. Eine, von denen Azaa so häufig gesprochen hatte. Barb
stöhnte leise und öffnete vorsichtig die Augen.
Die Lichtung war leer.
„Dachte ich es mir doch!”, sagte sie und schloss die Augen
wieder. Es war ihre erste, richtige Vision. Sie war völlig anders als die des
Sonnentanzes. Realer. Sie war so deutlich und wirkte so nachhaltig in ihr, dass
sie immer noch nicht ausschloss, dass sie Realität gewesen war. Mit
geschlossenen Augen versuchte sie jedes einzelne Bild wie im Zeitraffer vor ihr
geistiges Auge zurückzuholen.
Es gelang ihr nicht.
Das sonnenwarme Licht des Morgens, das durch den Baldachin des
Waldes brach, weckte Barb wieder. Erstaunt rieb sie sich die Augen und fragte
sich verwundert, wie sie in der unbequemen Lage hatte einschlafen können. Sie
rappelte sich auf und blickte sich um. Fragte sich, wie sie jemals zurück in
das Dorf finden sollte. Panik erwachte in ihr. Breitete sich hämisch in ihr
aus. Als sie drohte auszuufern, drang eine Stimme an ihr Ohr. Jemand rief ihren
Namen. Winterdonner, dachte Barb und eine Welle der Erleichterung machte sich
in ihr breit. Dumpfes Grollen rollte über den Waldboden und erschütterte ihn.
Dann teilten sich die Büsche und Winterdonner erschien. In den Bewegungen
verschmolzen mit seinem Mustang, dessen Hufe über den Waldboden hämmerten. Tief
über den Hals des Pferdes gebeugt, um den herunterhängenden Zweigen zu
entgehen, vermischte sich Winterdonners langes, dunkles Haar mit der hellen,
wehenden Mähne des Pferdes. Barb sah das Muskelspiel des dahingaloppierenden
Tieres und die straffe Gestalt des Reiters eins werden und atmete tief durch.
Sie war so fasziniert von dem Anblick, dass sie nicht den geringsten Laut von
sich gab, als Winterdonner sie im vollen Galopp auf das Pferd riss und ihr zuschrie:
„Halte dich fest!”
Barbs Gefühle, als sie sich an Winterdonners glattes Lederhemd
klammerte, schwankten zwischen Erleichterung, dass er sie gefunden hatte, und
Wut, dass er sich nicht einmal die Zeit nahm, den Mustang zu stoppen. Sie
fragte sich erbost, wozu die Eile notwendig war, und erhielt die Antwort, als
sie das Dorf erreichten.
Ihre Freunde liefen aufgeregt auf und ab und rannten ihr
erleichtert entgegen. Erschöpft ließ sich Barb von dem schweißnassen Rücken des
Mustangs gleiten.
„Wie konntest du uns derart in Sorge versetzen?”, fragte Uhura
vorwurfsvoll.
„Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht!”, kreischte Saha
dazwischen.
Nur Hiawatha blieb ruhig. Sah sie ernst an. „Was hast du im Wald
der Toten gesucht?”
„Wald der Toten?” Barb erschauerte. „Nun ja ... ich weiß auch
nicht, wie ich dorthin gekommen bin ... ich bin einfach losgegangen und ...”
„Schon gut, Kind”, unterbrach Hiawatha sie. „Es ist ja nichts
geschehen.” Doch der Blick, den er Barb zuwarf, strafte seine Worte Lügen. Es
funkelte Misstrauen darin. Oder die unausgesprochene Frage: Was hast du
gesehen?
Winterdonner regte sich hinter ihnen. Er konnte seinen Ärger kaum
bezähmen. Maiitsoh stieß ein warnendes Knurren aus. Er spürte die
Feindseligkeit des Schamanensohnes. Doch der quittierte das Knurren mit einem
herablassenden Grinsen. Zeigte keinerlei Angst vor dem Großen Wolf. Das nötigte
Saha Respekt ab.
„Du solltest sie endlich einweihen, Vater!”, sagte Winterdonner
unwillig. „Ich verspüre wenig Lust, dauernd hinter diesen beiden”, er deutete
auf Saha und Barb, „herzulaufen und Kindermädchen zu spielen!” Ohne jedes
weitere Wort drehte er sich herum und ging, den Mustang an den Zügeln hinter
sich führend, davon.
Hiawatha folgte der Aufforderung seines Sohnes und gab sich
sichtlich Mühe, Saha und Barb das Wissen der Vergangenheit, das Wissen der
Toten zu vermitteln. In seinen Augen stand eine Botschaft, die Saha nicht zu
entschlüsseln vermochte. Dafür waren seine Worte umso deutlicher. Sie handelten
von den alten Rassen. Lehrte sie die Alten Gebote des Schöpfers, des Großen
Geistes. Und immer war in seinen Reden von zwei Geistführern, zwei weisen
Schamanen, die den Wegen des Schöpfers folgten, die Rede.
Saha hielt mit ihrer Neugier nicht lange hinter dem Berg. „Du
sprichst immer von zwei Schamanen, Hiawatha. Doch wir sehen nur dich. Wer ist
der zweite?”
Hiawathas Gesicht verzog sich zu einem amüsierten Schmunzeln. Die
Fältchen
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