Regenbogen-Welt (German Edition)
Seinen besten Freund Jose Bolancer.
Der große, schlanke Mann begleitete Claudius seit mehr als zehn
Jahren. Jose war ein gefeierter Künstler. Seine Bilder hingen in den
vornehmsten Häusern Spaniens. Es hatte zwar Jahre gedauert, bis sein
eigenwilliger Stil und seine extravaganten Motive Zuspruch fanden. Aber als
sich der Knoten einmal gelöst hatte, konnte sich der sensible Künstler nicht
mehr vor Aufträgen retten. Der immer in schwarze Garderobe gehüllte Mann, der
schon seit jungen Jahren seine schüttere Haarpracht bejammerte, war Claudius‘
bester und einziger Freund. So hatte sich Claudius alle Mühe gegeben, den wenig
seefesten Künstler zu überreden, ihn auf seiner großen Fahrt zu begleiten.
„Du würdest es bereuen, Jose, wenn du nicht mitfährst. Gerade du
als Künstler. Für dich eröffnen sich sicher völlig neue Perspektiven. All diese
fremdartigen Motive ... bedenke nur!” Claudius hatte an dem Arm des Freundes, der
wenig Begeisterung zeigte, gezerrt. „So antworte doch, Jose!”
Jose Bolancer hatte gezögert. So sehr ihn auch die in Aussicht
gestellten Motive gereizt hatten. So gerne er seinen Freund begleitet hätte. So
sehr hatte ihn die Angst vor den uneinschätzbaren Gefahren des Meeres und die
Strapazen der Reise gehindert.
„Ich weiß nicht so recht”, hatte er unschlüssig gesagt. „Du
weißt, dass ich nicht gerne auf See bin.”
„Du kannst doch nicht immer in deinem Atelier hocken und dich vor
aller Welt verschließen”, erwiderte Claudius mit einem vorwurfsvollen Unterton
in der Stimme. Er verstand den Freund nicht. Ihn hatte bereits schon wieder das
Abenteuerfieber gepackt und die Sehnsucht nach der großen, weiten Welt.
Claudius war ein Mann mit hoher Risikobereitschaft und Wagemut.
Ein Seemann musste ohnehin viel davon mitbringen, um sich auf die unendliche
Weite des Meeres einzulassen.
Claudius war nichts Materielles in die Wiege gelegt worden, denn
er stammte aus einfachem Elternhaus. Die Abenteuerlust schlummerte tief in ihm,
floss ihm sozusagen durch die Adern. War ein Bestandteil seines Blutes.
Herausragend wie seine Zähigkeit, mit der er seine Ziele verfolgte. Allen voran
der Wunschtraum, Westindien zu entdecken und zu erobern. Dass er dabei nach
langer Reise an der Küste eines anderen Kontinents vor Anker ging, erkannte er
nicht. Diesem Irrtum verdankte das rote Volk seinen Namen. Claudius, der
glaubte, Indien erreicht zu haben, nannte sie INDIANER.
Wie es Claudius zustande gebracht hatte, seinen Freund schließlich
und endlich doch noch zu überreden, blieb sein Geheimnis. Aber es gelang ihm.
Nachdem sich Jose x-mal übergeben und seine Bereitschaft, Claudius zu
begleiten, verflucht hatte, und als er schon dachte, sein letztes Stündchen
hätte geschlagen, legte sich der Wellengang in seinem Magen. Das schlingernde
Gefühl in seinen Eingeweiden wich. Von da ab konnte er die Reise und die
unendliche Freiheit des Meeres genießen. Oft saß er mit dem Zeichenpapier in
der Sonne an Deck und ließ den Kohlestift darüber gleiten. Da das Leben auf
einem Schiff Jose völlig fremd war, machte er es sich zur Gewohnheit, Claudius
zu beobachten und zu zeichnen. So hielt er beinahe jede prägnante Bewegung des
Freundes fest. Und lernte dadurch dessen verborgenen Eigenschaften kennen.
Er registrierte, dass Claudius seine Entscheidungen mehr vom
Unterscheiden des Windgeruchs, im Deuten der Wolkengebilde und der
unterschiedlichen Farbtöne des Wassers abhängig machte als vom technischen
Gerät. Oftmals blieb sein Blick an dem hochgewachsenen und wohlproportionierten
Körper des Freundes haften. Er beneidete ihn insgeheim darum. Allerdings
weniger um seinen Gesichtsausdruck. Denn er bemerkte nicht zum ersten Mal, dass
Claudius oftmals griesgrämig dreinblickte.
Claudius war ein ernster und nachdenklicher Mensch. Zu seiner
breiten, behaarten Brust und den muskulösen Schultern passte seine finstere
Miene. Seine Haltung und sein Gang verrieten angeborenen Stolz, der den
Spaniern zu eigen war. Denn in ihm brannte das Feuer seiner Heimat. Und nicht
nur das. Auch der Traum von einer anderen, besseren Welt jenseits des großen
Meeres im Westen.
Die Reise über den großen Ozean war entbehrungsreich und von
Krankheit und Entsagung gezeichnet. Oftmals dachte Jose im Stillen, dass sie es
nicht schaffen würden. Nie äußerte er jedoch diese Befürchtung seinem Freund
gegenüber, denn er wusste, dass Claudius beinahe fanatisch an den Erfolg der
Reise glaubte. Als aber
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