Regenbogen-Welt (German Edition)
auch ihm schon der Mut schwand, sahen sie am Horizont
Land.
Es vergingen noch weitere Stunden, bis sie dem Küstenstreifen
näherkamen. Claudius und Jose standen an der Reling und sprachen aufgeregt
aufeinander ein. Dann endlich kam der Moment, an dem sie die Beiboote zu Wasser
ließen. Eine Handvoll Männer ruderte sie in die Bucht. Mit siegessicherem
Lächeln um seine Mundwinkel setzte Claudius den ersten Fuß auf das Land, das
sie mit fremdartigen Bäumen, die das Ufer säumten, begrüßte. Im angrenzenden
Dickicht ging ein Getuschel los, das an heitere Kinder erinnerte. Zwischen den
Büschen lugten freundliche Gesichter hervor. Rothäutige Gesichter.
Claudius war sicherer denn je, dass er ein irdisches Paradies
gefunden hatte, in dem edle Wilde lebten, die zwar nackt, aber schön und
friedfertig waren. Tief bewegt nahm er die Großherzigkeit dieser Menschen wahr.
Erfreute sich an ihrem Anblick. Und dem unbändigen Gefühl, es geschafft zu
haben. Er hätte seine Empfindungen gerne in Sätze gefasst. Aber er brachte
keinen Ton heraus. Die Worte waren in seinem Herzen, aber er war unfähig, sie
daraus hervorzulocken. In ihm breitete sich die glückliche Mattheit aus, die
jeder verspürte, wenn sich sein Lebenstraum erfüllte. Diese Fassungslosigkeit,
die dem Glücksgefühl folgte und die in jedem die Frage aufbrachte: Träume ich,
oder erlebe ich das wirklich?
Claudius blickte sich um.
Jose regte sich neben ihm. Sein geschultes Künstlerauge erfasste
die Menschen mit der ungewöhnlichen Hautfarbe, die regungslos wie bronzene
Statuen dastanden. Ganz so, als wären sie nicht aus Fleisch und Blut. Er nahm
jedes auch noch so kleine Detail wahr. Ihm gegenüber standen nackte Menschen,
die schön gebaut waren. Wirklich schön gebaut waren. Ihre stattlichen Körper
waren die reinste Augenweide. Aber ihre Gesichter waren das eigentlich Schöne
an ihnen. Feingeschnitten mit hohen Wangenknochen. Brauen, dunkel wie
Adlerschwingen, bogen sich über kristallklare Augen. Lackschwarzes, dichtes
Haar fiel den Meisten bis in die Taille. Die einen trugen es offen, die anderen
zu Zöpfen geflochten.
Claudius hingegen empfand völlig anders als sein Freund. In dem
Augenblick, als sein Fuß das neue Land berührt hatte, wurde aus dem Entdecker
der Eroberer. Und in ihm erwachte perfide Gier, als er den roh gearbeiteten,
glänzenden Schmuck, der die nackten Menschen zierte, erblickte. Das ist Gold,
dachte er, und auf seine Seele fiel der erste dunkle Schatten.
Sie schlugen das Lager auf. Die Anwesenheit von Claudius‘ Männern
hatte die nackten „Wilden” vertrieben. Jedoch nur aus der unmittelbaren Nähe.
Mit großen Augen verfolgten sie eine Weile die Männer mit den hellen
Gesichtern, tuschelten dann aufgeregt und verschwanden. In ihrem Zeltdorf
angekommen, erzählten sie ihrem Clan aufgeregt von den Göttern mit den weißen
Gesichtern. Die Alten hörten ihnen mit skeptischen Mienen zu und beteten zu
Manitou, dem Großen Geist. Baten ihn um ein Zeichen, ob er die weißen Götter
geschickt habe. Als sie keine Antwort erhielten, deuteten sie dieses Schweigen
als Zustimmung, die weißen Götter willkommen zu heißen.
Ein fataler Irrtum.
Als die Dorfgemeinschaft ihn mit freundlichen Gesten empfing, war
Claudius mehr als beeindruckt von der großzügigen Gastfreundschaft der
Indianer, wie er das rote Volk getauft hatte. Besonders als er die kargen
Lebensbedingungen bemerkte, unter denen sie ihr Dasein fristeten. Diese Welt
hatte nichts mit der gemein, aus der er kam. Denn dort herrschten Wohlstand und
Zivilisation, aber auch Machtgier und Eitelkeit. Und je länger Claudius die
„Wilden” mit dem kunstvollen Schmuck um Hals und Armgelenke um sich hatte, desto
mehr erlag er der Gier nach Gold. Das edle Metall übte eine magische
Anziehungskraft auf ihn aus. Ließ ihn nicht schlafen oder ruhen. Er musste
herausbekommen, woher die Wilden es hatten.
Jose hingegen ließ das schimmernde Metall völlig kalt. Ihn interessierten
viel mehr die unbekannten Vögel und Tiere, die er überall erspähte, und nie
gesehene Pflanzen, an denen er roch. Aufgeregt hielt er alles fest, und als
sein Zeichenpapier verbraucht war, suchte er sich andere Unterlagen, um die
Motivflut festzuhalten.
„Du hattest Recht, Claudius!” rief er erfreut. „Hier gibt es
Motive im Überfluss.”
„Ja, ja ... das sagte ich doch”, antwortete der zerstreut. Was
interessierten ihn Joses Motive? Er kannte nur noch einen Gedanken:
Weitere Kostenlose Bücher