Regina schafft es doch
Kuchen gegessen habe. Ich muß mir einfach sofort ein richtiges Stück Schwarzbrot mit Wurst machen!“
Regina lachte. Mit Katrin im Zusammenhang zu reden, gab sie als aussichtslos auf.
„Kein Wunder, daß du Hunger hast, wenn du dich den ganzen Nachmittag herumtreibst und so spät nach Hause kommst…“
„Spät? Es ist doch nicht spät!“
„Es war genau halb acht, als du nach Hause kamst!“
„Unmöglich!“
„Nein, gar nicht unmöglich. Ehrenwort! Sieh mal! Jetzt ist es acht!“
Katrin schüttelte den Kopf. Sie blickte auf ihre Armbanduhr.
„Es ist sieben, Regina!“
„Denk nicht dran! Ich habe doch die Uhr heute nachmittag gestellt, ich geb’ dir mein Ehrenwort, es ist acht!“
Im selben Augenblick begann die Kirchenglocke in der Nähe zu läuten. Das tat sie allabendlich um sieben Uhr.
Regina sah Katrin erschrocken an.
„Ja, du meine Güte! Dann muß Frau Reisinger sich geirrt haben, denn sie sagte mir, die Uhr wäre…“
„Jaja, jetzt sitzt du da mit deinem Ehrenwort!“ lachte Katrin und stellte den Wecker. „So, ich lauf ‘raus und hol’ mir eine zolldicke Schnitte Schwarzbrot. Willst du auch eine haben?“
Regina schüttelte den Kopf, stumm, mit großen Augen.
Die Tür klappte hinter Katrin zu. Frau Reisinger hatte „ihren beiden Mädeln“ eine kleine Ecke in der Küche überlassen. So brauchten sie ihr Essen nicht im Zimmer zu richten. Frau Reisinger hatte es gern, wenn die muntere Katrin zu ihr in die Küche kam und ihr allerlei erzählte, bald von Tausings Atelier, bald von ihrem Zuhause und der Töpferwerkstatt in ihrer Heimatstadt.
Heute abend war Katrin ganz besonders gesprächig. Sie saß auf dem Rand des Küchentisches und aß. Dann mußte sie unbedingt Frau Reisingers Leberkäs kosten, und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie wieder zu Regina hineinging.
Regina aber saß steif wie ein Stock am Tisch, weiß im Gesicht und mit schwarzen, weit aufgerissenen Augen.
„Jetzt sitzt du da mit deinem Ehrenwort!“ hatte Katrin gesagt.
Ja, so leicht konnte ein solches Ehrenwort einem über die Lippen rutschen. Hatte Gert am Ende diese Wendung gar nicht so richtig gemeint, als er ihr schrieb? Oder… oder… Plötzlich durchfuhr sie ein Schreck.
Oder Gert war guten Glaubens gewesen! Annette war es, die gelogen hatte! Mit einem Male verstand Regina alles – die neue Regina, die Weichheit gelernt hatte und Nachgiebigkeit, die gelernt hatte, mit den Augen anderer zu sehen. Sie verstand plötzlich, sie begriff, wie das Ganze gewesen war.
Gerts einzige Lüge war gewesen, daß er erzählt hatte, das „Schlafende Kind“ sei entzweigegangen. Und die hatte er ausgesprochen, bevor sie sich richtig gekannt hatten, bevor er irgendwelche Verpflichtungen ihr gegenüber hatte. Die war ihm einfach so herausgefahren, ohne daß er richtig darüber nachgedacht hatte. Dann hatten sie sich kennengelernt und – liebengelernt. Dann hatte es Gert gequält, daß er dies eine Mal gelogen hatte, und es hatte ihn gequält, daß ausgerechnet Annette das „Schlafende Kind“ hatte. Sie selbst, Regina, hatte es ihm ja noch schwerer gemacht, als sie sagte: „Besser, daß die Figur bei dir entzweiging, als daß sie bei jemandem steht, der sie nicht begreift.“
Armer Gert. Armer, lieber Gert! Sie hatte selbst Schuld – sie hatte ihn zum Sklaven ihrer verflixten, verstockten, verbohrten Ehrlichkeit gemacht. Widerwärtig, rechthaberisch war sie gewesen!
Und nun hatte Gert… ach ja, natürlich, klar, so hing es zusammen: Er hatte Annette angeläutet und versucht, die Figur zurückzubekommen; vielleicht hatte er ihr ein anderes und viel größeres Geschenk angeboten. Da war der Teufel in diese Annette gefahren, und sie hatte gesagt, die Figur wäre ‘runtergefallen und zerbrochen. Und er hatte ihr geglaubt. Geglaubt und an Regina geschrieben, die Figur wäre entzweigegangen, auf Ehrenwort. Genauso wie sie selbst vor fünf Minuten in gutem Glauben ihr Ehrenwort gegeben hatte…
Und sie hatte geschmollt und war beleidigt gewesen wie ein kleines Kind, hatte nicht ein Wort an Gert nach Kopenhagen geschrieben, hatte ihn vergeblich um Post bitten und betteln lassen… Was mußte Gert nur von ihr denken – wenn er überhaupt noch an sie dachte?
„Du, Regina! Ich habe ganz vergessen… ja aber, was ist denn mit dir los, Regina? Du sitzt da, wie wenn du zu Stein erstarrt wärest. Ist was los?“
Regina wandte Katrin ihr blasses Gesicht zu.
„Es ist nichts weiter los, Katrin, als daß ich mich
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