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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Schmuckelchen?«
     
    Sie hob lachend ihr Glas, während meine Mutter das ihre in einem Zug leerte. »Laß dein Schnuckel chen aus dem Spiel«, entgegnete Boris und holte das Arztbesteck aus seinem Köfferchen.
    Anschließend vernähte er die Stirn meiner Mut ter, wobei sie aufstöhnte und meine Hände halb zerquetschte. Die Nacht draußen war von vollkom mener Schönheit. Der Mondschein war vollkom men. Man mußte sich schon in die Wange kneifen, um sich klarzumachen, daß es kurz zuvor ein Erdbeben gegeben hatte und daß eine solche Vollkom menheit das Gegenteil in ihrem Schoß bergen und ins totale Chaos umschlagen konnte. Es war noch heiß, aber auf angenehme Weise. Ich blickte Odile an, die Sonia einen Arm um die Hüften legte und es schaffte, ihr ein Lächeln zu entlocken, das den Garten mit einem goldenen Glanz zu überziehen schien, während ich mich immer weniger imstande fühlte, meine Mutter in diesem Zustand vor die Tür zu setzen, nur weil meine Frau und ich mit dem Geschlechtsverkehr etwas in Verzug geraten waren.
    Als der chirurgische Eingriff beendet war, schloß sich meine Mutter in einem der beiden Badezimmer ein und Boris in dem anderen.
    »Ist es soweit? Seid ihr fertig?« fr agte mich So nia aus den Tiefen ihres Liegestuhls.
    »Komm, setz dich doch zu uns«, sagte Odile.
    Ich erklärte ihnen, daß auch ich erst ins Badezim mer müsse, um mich ein wenig zu waschen, und zog als erstes mein blutbeflecktes Hemd aus.
    »Hör zu, es ist eine Frage der Gastfreundschaft«, sagte ich zu Sonia. »Es ist ganz einfach eine Frage der Gastfreundschaft. Okay?«
    »Habe ich vielleicht etwas gesagt?«
    Obwohl wir seit drei Jahren zusammen waren, kannte ich sie noch nicht sehr gut. Ich konnte nicht mit Gewißheit voraussagen, ob eine Sache gut oder schlecht verlaufen würde. Niemand aus meinem Bekanntenkreis konnte das bei den Frauen sagen, die um die Dreißig waren, niemand wußte, wie sie in ei ner gegebenen Situation reagieren würden. Es sah so aus, als wären sie noch nicht richtig ausgereift und ließen sich oft von ihrem Instinkt leiten, ohne sich um die Folgen Gedanken zu machen, und daher war jede Voraussage unmöglich. Ich starrte sie einen Au genblick an, während an meinen Händen noch das Blut meiner Mutter klebte.
    »Komm, sei ein bißchen nett zu ihr«, riet ich ihr. »Ihre Wunde ist mit sechs Stichen vernäht wor den.«
    »Mit so vielen?« erwiderte sie.
    Odile warf mir eine Olive zu, die ich direkt mit dem Mund auffing.
    »Und die Gastfreundschaft«, sagte ich noch ein mal, ehe ich aufstand, da ich Boris wieder auf- tau chen sah, »die Gastfreundschaft ist eines der Din ge, die uns von den wilden Tieren unter- scheiden. Und mehr als das will sie ja gar nicht, Sonia, nicht mehr als unsere Gastfreundschaft.«
    Zehn Minuten später, nach einer kalten Dusche, die mich davon überzeugt hatte, daß Sonia kein Herz aus Stein hatte und nichts unter- nehmen wür de, was mir unangenehm sein könnte, vor allem da sie so nah am Ziel war – auch wenn man uns unter brochen hatte, waren wir dennoch einen großen Schritt weiter- gekommen, so daß ich keinen Rückzieher machen konnte, ohne als Spielverderber dazustehen –, ging ich wieder zu den anderen, die im Garten saßen.
    »Deine Mutter ist nicht mehr da«, ver- kündete Sonia unbekümmert. »Sie ist nach Hause gefah ren.«
    »Was soll das heißen, nach Hause gefahren?«
      Boris und Odile hatten den Blick abgewandt. Sonia gab sich sehr entspannt.
    »Hm, was soll das heißen, nach Hause gefahren? Was erzählst du da?«
    »Das hat sie auf jeden Fall gesagt. Mehr weiß ich auch nicht.«
    Ich starrte sie einen Augenblick an, dann schnappte ich mir das Telefon und entfernte mich.
    »So kannst du doch nicht fahren. Dein Kühler ist kaputt.«
    »Es ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sor ge n. «
    »Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Hat sie dich rausgeworfen? Sag mir die Wahrheit. Hat sie dich rausgeworfen?«
    »Hör zu, das ist unwichtig. Wirklich, das schwö re ich dir.«
    »Für mich ist das wichtig. Tut mir leid.«
    Ich sah, wie die anderen auf der gegenüber- liegen den Seite des Swimmingpools saßen und lachten, das ruhige blaue Wasser zwischen uns spiegelte die Szenerie. Sie hatten Musik angestellt, tranken und erzählten sich Geschichten, als sei nichts gesche hen. Manchmal warf Sonia mir einen Blick zu, aber sie hatte noch immer diese unbeteiligte Miene.
    »Ich möchte, daß du anhältst. Halt an. Und jetzt erzähl mir, was passiert ist. Was hat sie

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