Reich der Schatten
so, als hätte ihn der Tod seines Arbeiters besonders mitgenommen, sondern eher die Tatsache, dass er seine Ausgrabungen erst einmal nicht fortführen kann. Doch ich glaube nicht, dass er mit dem Tod des Arbeiters etwas zu tun hat. Offenbar liegt ihm diese Ausgrabung sehr am Herzen. Er ist bestürzt, weil seine großartige wissenschaftliche Arbeit nun von polizeilichen Ermittlungen behindert wird.« Sie blickte auf Tara. »Geht es dir gut? Schrecklich, dass du ausgerechnet heute dort unten warst! Heute Abend hole ich Eleanora aus dem Stall, sie soll in der Diele schlafen.« Ann hielt inne und erbebte. »Schrecklich, einfach schrecklich! Solch ein brutaler Mord in allernächster Nachbarschaft.«
»Das Château hat eine Alarmanlage«, warf Jacques ein.
»Na klar, Großpapa. Ich bin kein Angsthase. Es ist nur sehr beunruhigend.«
»Ja, das ist es wirklich«, pflichtete Jacques ihr bei.
Ann verzog das Gesicht. »Du siehst erschöpft aus, Großpapa.« Sie blickte ein wenig vorwurfsvoll auf Tara, als ob ihre Cousine den Großvater um diese Uhrzeit nicht mehr hätte stören sollen.
»Es geht mir gut«, erwiderte Jacques. »Aber ich sollte jetzt wohl lieber schlafen. Ann, ich weiß, dass du kein Angsthase bist, aber du solltest den Hund tatsächlich reinholen, und außerdem solltest du die Alarmanlage überprüfen. Darüber hinaus sollten wir keine Fremden ins Haus lassen, das habe ich Tara auch schon eingeschärft. Habt ihr mich verstanden? Keine Fremden!«
»Selbstverständlich«, sagte Ann. »Und jetzt lassen wir dich schlafen.«
Sie küsste ihn sanft auf die Wangen. Als Tara es ihr nachmachte, sah er ihr flehentlich, aber auch sehr entschlossen in die Augen.
» Bonne nuit, Großpapa«, sagte sie leise.
Die zwei schickten sich an zu gehen.
»Wenn es ein Problem gibt, egal, was für eines, müsst ihr mich holen«, rief er ihnen nach. »Tut das bitte! Ich habe in der Résistance gekämpft, wie ihr ja wisst. Und obwohl ich alt bin, bin ich noch immer ein ausgezeichneter Schütze.«
»Natürlich, Großpapa«, sagte Ann und zog die Tür zu. Dann wandte sie sich an Tara. »Er wird sehr rasch müde. Darauf wirst du dich einstellen müssen«, meinte sie tadelnd.
»Ich bin gerade erst nach Hause gekommen und war nur ein paar Minuten in seinem Zimmer«, erklärte Tara. »Aber mach dir keine Sorgen – ich liebe ihn genauso sehr wie du, und ich passe schon auf.«
»Er hat sich bestimmt wahnsinnig über diese schreckliche Nachricht aufgeregt«, meinte Ann und erzitterte noch einmal. »Als ich das im Radio hörte … ich habe richtig Gänsehaut bekommen. Ach, Tara! Wir sollten jetzt schön zu Abend essen und ein wenig plaudern, aber ich bin schrecklich müde. Mir steht der Sinn jetzt eher danach, einen großen Drink in der Badewanne zu nehmen und danach gleich ins Bett zu gehen. Würdest du mir das übelnehmen? Ich weiß schon, heute Morgen habe ich dir vorgeschlagen auszugehen, aber der Tag war wahnsinnig chaotisch, und ich hatte so viel zu tun, und dann noch dieser Mord …«
»Geh ins Bett; ich bin auch ziemlich erledigt. Ich habe mich noch gar nicht hingelegt, weil Großpapa darauf bestanden hat, dass ich gleich in diese Kirche gehe.«
»Wenn du morgen angekommen wärst, wäre es zu spät gewesen.«
»Tja, ich bin nun mal heute angekommen«, meinte Tara reumütig. »Aber du gehst jetzt zu Bett und schläfst dich aus, und ich gehe auch in mein Zimmer.«
»Ich hole nur noch den Hund rein. Eleanora ist eine große, treue, wachsame Schäferhündin.«
»Dann gute Nacht.«
Tara verabschiedete sich mit Küssen von ihrer Cousine und ging in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich ans Fußende. Sie war fix und fertig. Der Arbeiter war geköpft worden!
Ihre Hände begannen zu schwitzen. Sie war dort gewesen, als es passierte.
Angst legte sich wie ein Mantel um sie. Sie erhob sich und versuchte, die Angst abzuschütteln. In der Hoffnung, dass ihr die frische Nachtluft guttun würde, trat sie an die Balkontür und öffnete sie weit.
Ihr Zimmer befand sich rechts neben dem ihres Großvaters, Anns Zimmer links davon. Alle drei lagen im vorderen Teil des Hauses, man konnte also auf die Zufahrt und den Eingang zum Stall blicken.
Am Himmel standen keine Sterne, und der Mond war gerade am Abnehmen. Die Kälte des heraufziehenden Herbstes kam ihr plötzlich schneidend vor. Ihr Blick wanderte vom Himmel zum Stall. Sie überlegte, ob sie noch die Kraft hatte, hinunterzugehen und Eleanora zu begrüßen.
Auf einmal hörte sie ein
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