Reich durch Hartz IV
nicht die ganzen sechs Wochen Urlaub nehmen. Dann fahre ich eben mit meinem Sohn nur drei Wochen zu meiner Mutter.«
»Hatten Sie nicht eben gesagt, Sie fliegen?«
»Ähm, nein, nein, ich fahre.«
»Das kann ich Ihnen genehmigen, allerdings nur dann, wenn ich keine Arbeit für Sie habe. Wenn ich noch Ende Juli eine Arbeit für Sie finde, kann ich Ihnen den Urlaub nicht genehmigen. Das heißt, Sie müssten in der letzten Juliwoche hier noch einmal anfragen, ob Sie in Urlaub fahren dürfen.« Begeistert ist Carmen K. nicht. Aber lässt sie sich nicht darauf ein, riskiert sie, gar kein Hartz IV zu bekommen.
Von Bauklempner Roland F. hat Frau Brauer bis zu unserem letzten Gespräch nichts mehr gehört. Er erschien nicht mehr wieder und meldete sich als Leistungsbezieher ab, als die Drohung im Raum stand, als Bauhelfer bei einer Zeitarbeitsfirma anfangen zu müssen. Er ist womöglich wirklich »Subunternehmer« geworden. Im Juli hatte sich Necat I. in den Urlaub verabschiedet. Im August hätte er aus der Türkei zurückkehren müssen, doch er meldete sich von dort aus krank und blieb am Ende sechs Wochen – auf Kosten des Jobcenters. Viele seiner Landsleute, erzählt Frau Brauer, hätten es genauso gehalten. Sie hat schon oft die Erfahrung gemacht, dass im August eine Menge Krankmeldungen aus der Türkei ins Haus flattern.
Ein halbes Jahr habe ich Carmen K., Ilona B., Necat I. und Roland F. begleitet. Und eine Frage brannte mir mehr und mehr unter den Nägeln: Ist das, was wir in diesem Zeitraum erlebt haben, die Ausnahme oder die Regel? Ist es normal, dass Fallmanager so viel argumentieren und sich auseinandersetzen müssen, um ihre »Kunden« dazu zu bewegen, eine Arbeit aufzunehmen und sich so zu verhalten, dass es überhaupt gelingen kann?
Frau Brauer seufzt daraufhin. Sie weiß, dass sie sich auf einem schmalen Grat bewegt: Hartz-IV-Empfänger sind für viele ausschließlich bedauernswerte Opfer, die nicht mit unzumutbaren, menschenunwürdigen Tätigkeiten bei Reinigungsfirmen, auf Spargel-, Kohl- und Salatfeldern zur Ernte oder im Weinberg zur Lese verpflichtet und traktiert werden dürften. Die Forderung, dass Menschen ohne Berufsausbildung bereit sein müssen, einen einfachen, auch schlecht entlohnten Job anzunehmen, wenn es nichts anderes für sie gibt, führt in Arbeitslosenorganisationen zu wütenden Reaktionen, die das als unerträglichen Druck auf die »Ärmsten der Armen« ansehen. Die Ärmsten der Armen sind in diesem Fall nicht die Slumbewohner von Kalkutta oder Kinshasa, sondern Hartz-IV-Empfänger in Deutschland. Dass die Millionen von Menschen, die sich jeden Morgen um sechs Uhr zur Arbeit aufmachen, um im Supermarkt an der Kasse zu sitzen, Haare zu schneiden oder Pakete auszutragen, ihre Arbeit auch nicht als Traumjob empfinden und sie trotzdem durchhalten, wird dabei gerne übersehen.
Nur zur Klarstellung: Hier ist nicht die Rede von Menschen, die 30, 40 Jahre lang in einem Betrieb malocht haben, der dann irgendwann zumachen musste oder ins Ausland verlagert wurde, und die jetzt mit Mitte, Ende 50 verzweifelt einen Job suchen. Hier geht es um vergleichsweise junge Leute – von Mitte 20 bis Mitte 40 –, die es sich offenbar mit Hartz IV bequem eingerichtet haben.
Angelika Brauer jedenfalls hätte eine Menge Stellen gehabt – in der Gastronomie, bei einer Gebäudereinigungsfirma, im Baugewerbe, im Einzelhandel, in Lagerbetrieben –, aus denen die Kandidaten etwas hätten machen können. Klar, nur wenige weigern sich, Bewerbungen zu schreiben oder zu einem Vorstellungsgespräch zu gehen, weil sie wissen, dass dann eine Sperre droht. Doch wer einen Job nicht annehmen will, hat – wie ich selbst erfahren und miterlebt habe – viele Möglichkeiten, die Einstellung zu vereiteln und Arbeitgeber abzuschrecken. Man trägt an jedem Finger einen Ring, man nimmt vor dem Bewerbungsgespräch einen kräftigen Schluck aus der Pulle, man erscheint mit fettigen Haaren und ungepflegter Kleidung oder weist auf ständig kranke Kinder, langanhaltende Rückenschmerzen oder Migräneanfälle hin. Frau Brauer fasst zusammen: »Ich kann nur aus meinen Erfahrungen berichten. Aber ich habe sehr häufig den Eindruck, dass das, was Sie hier erlebt haben, überwiegend der Fall ist. Das heißt, ich muss ständig sehr viel argumentieren. Ich habe natürlich auch Menschen kennengelernt, die sich händeringend um Arbeit bemüht haben. Denen konnte ich leider manchmal keine passenden Stellen vermitteln. Auch die habe ich
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