Reich durch Hartz IV
analysiert habe, ob es überhaupt Abnehmer für Springbrunnen für die heimische Wohnstube gäbe. Zur Sprache kommt auch nicht, ob er nicht lieber erst mal wieder als Angestellter ins Arbeitsleben hineinfinden wolle.
Vielleicht hat die Frau von der Grone-Schule mehr Glück mit Holger O., auch ein »Kunde« von Angelika Brauer. Holger O. ist 36 Jahre alt, hat nie eine Ausbildung gemacht und ist seit vier Jahren ohne Arbeit. Er bekommt Hartz IV, die Miete wird bezahlt. Er hat gleich nach der Schule als ungelernte Kraft auf dem Bau angefangen, doch solche Jobs werden immer seltener. Wir treffen Holger O. in einer Kaffeestube außerhalb von Winsen, wo er seine Vormittage verbringt. »Warum gehen Sie nicht putzen? Putzkräfte werden doch gesucht?« Holger O.: »Nee, das ist nicht so mein Ding. Das liegt mir nicht so, solche Arbeit, sag ich mal. Man hat ja auch Vorstellungen, was man so machen will.«
»Was machen Sie denn jetzt eigentlich so den ganzen Tag über? Wie verbringen Sie den Tag? Sie sind ja jetzt schon seit vier Jahren arbeitslos.«
»Na ja, man guckt Fernsehen. Man liest Zeitung, telefoniert mit Freunden, geht zum Bäcker, trinkt einen Kaffee. Man hat ja auch nebenbei noch was zu tun. Ein Freund ruft an und sagt: ›Hilf mir mal Möbel zu tragen und den Schrank runterzubringen.‹ So was macht man natürlich. Mal mit anpacken. So kriegt man die Zeit gut rum.«
Ob er für das Anpacken auch mal ab und zu etwas extra bekommt, sagt er nicht, aber den täglichen Kaffee beim Bäcker zahlt er ja auch irgendwie. Inzwischen bin ich neugierig geworden, die Schmerzgrenze von Frau B. war die Vorstellung, aus dem idyllischen Einfamilienhaus ausziehen zu müssen. Wo aber liegt die Schmerzgrenze von Holger O.? Wann und wofür würde er über seinen Schatten springen? Die Schlüsselfrage ist also folgende: »Wo ist denn der Punkt, an dem Sie sagen würden: ›Jetzt geh’ ich lieber arbeiten.‹ Wenn das Jobcenter zum Beispiel käme und sagen würde, Sie kriegen ab sofort nur noch Lebensmittelgutscheine?« Holger O. fällt mir ins Wort: »Na klar, logisch ginge ich dann arbeiten. Wenn Sie Hunger haben, dann gehen Sie doch auch zum Jagen. Wenn man nicht gefüttert wird, dann wird man irgendwann selbstständig und aktiv und geht auf eigene Faust zum Jagen. Das ist doch logisch. Und wenn der Staat einen nicht mehr füttert und einem einen Gutschein ausgibt, dann gehen die Leute doch los und tauschen die Gutscheine gegen Bargeld.«
Zwei Wochen später nimmt Holger O. einen Ein-Euro-Job in einer gemeinnützigen Einrichtung an. Er streicht Wände und Türen in einer Obdachloseneinrichtung. 80 Euro wird er in diesem Monat dazuverdienen. Auf sein Arbeitslosengeld wird das nicht angerechnet. Eine richtige Arbeit hätte er schon gern irgendwann und irgendwo. Aber sie müsste sich lohnen, findet er: »Logisch, man guckt sich um und versucht, was zu kriegen, aber das muss eben gut bezahlt sein. Ich will doch mal wieder schön in Urlaub fahren, mir ein Auto anschaffen. Ich will mir ja auch mal irgendwas leisten.«
»Was haben Sie denn gelernt?«
»Ich habe keine Ausbildung. Ich hab ja immer nur gearbeitet.« Ob ihm irgendwann mal ein Fallmanager erklärt habe, dass er ohne Ausbildung keine großen Ansprüche stellen könne und sich bewegen müsse, frage ich ihn neugierig. Vielleicht müsse er sogar noch mal die Schulbank drücken oder sonst bereit sein, auch für weniger Geld tätig zu sein, weil die Zeiten sich geändert hätten und ungelernte Kräfte fast nicht mehr gebraucht würden. Holger O. guckt verblüfft: »Ja, aber ich habe doch auch meine Vorstellungen.«
Vier Wochen später. Angelika Brauer hat den Lagerarbeiter Necat I. eingeladen. Sie will wissen, ob er mit seinen Bewerbungen erfolgreich war und ob die Gespräche, die sie ihm vermittelt hatte, gut waren. »Wie ist es denn gelaufen? Was ist inzwischen passiert?« Herr I. druckst ein bisschen herum, er fühlt sich sichtlich unwohl. »Im Moment kann ich nicht«, sagt er. »Ich warte auf Antworten.«
»Bitte bringen Sie mir das nächste Mal Ihre Bewerbungsschreiben mit«, fordert Angelika Brauer energisch. »Und auch die Absagen der Firmen möchte ich gern einmal sehen.«
»Ja, aber gerade bin ich krank«, sagt Necat I. Dumm, dass Winsen so ein kleines Nest ist. Denn jetzt wird die Fallmanagerin hellhörig: »Sie sind doch aber nicht bettlägerig. Ich sehe Sie jeden Tag hier in der Gegend herumlaufen.«
Das stimmt. Herr I. geht regelmäßig zum Italiener an der Ecke
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