Reich durch Hartz IV
haben Sie wohl recht«, sei die Antwort gewesen, »aber jeder nimmt, was er kriegen kann. Und wenn der Staat nicht schlau wird, dann nimmt man es eben vom Staat.« Keiner von denen, die das Jobcenter eingeladen hat, hat eine Berufsausbildung. Trotzdem wollen sich von den 30 Leuten, die hergekommen sind, nur fünf überlegen, ob diese Arbeit vielleicht was für sie wäre. Wohlgemerkt, überlegen – nicht zusagen.
Peter L. ist seit sechs Jahren arbeitslos und hat bereits eine Umschulung zum Maurer gemacht, dann eine zum Maler, und er war auch schon mal in einem Gartenbaubetrieb tätig, weswegen er es bei Rudolf Behr versuchen will. Am nächsten Morgen wartet er um 5.30 Uhr auf den Betriebsbus, mit dem Behr alle Erntehelfer einsammeln lässt, denn um diese Zeit fahren noch keine öffentlichen Verkehrsmittel. Peter L. kommt zur »Kopfsalatbrigade«. Erntearbeit ist nichts für feine Seelchen, die von frischer Luft und vom Wind in der Nase schwärmen, sondern Knochenarbeit. Noch auf dem Feld wird der Salat geputzt, eingetütet und versandfertig gemacht – im Akkord. Das heißt in einem Wahnsinnstempo. Der Betriebsleiter gibt sich bei der Einarbeitung neuer Helfer viel Mühe, obwohl er seit 20 Jahren, wie er sagt, schlechte Erfahrungen mache. »Die meisten, die vom Jobcenter kommen«, betont er grimmig, »haben keine Lust. Es gibt ja genug Geld vom Amt. Sie finden, wir zahlten zu wenig. Dann geht es los damit, dass sie sich schnell krankmelden, freitags nicht kommen, montags auch nicht, am Wochenende schon gar nicht. Und so ein Verhalten bremst die ganze Gruppe. Das können wir uns einfach nicht leisten. Sie kriegen so viel Geld vom Amt, so viel wie das, was sie hier verdienen. Aber dafür können sie zu Hause den ganzen Tag die Beine baumeln lassen. Je mehr Leute wir vom Jobcenter bekommen, desto mehr Probleme haben wir. Unvorstellbar, wenn wir nur mit denen arbeiten müssten, dann könnten wir dicht machen.« Natürlich kennen der Betriebsleiter und Rudolf Behr das übliche Rezept, das in Talkshows, Bundestagsreden und Leitartikeln verkündet wird: Lohnabstandsgebot heißt das Zauberwort. Wenn der Abstand von den Hartz-IV-Beträgen zum Lohn so gering sei, müsse eben der Lohn erhöht werden, wird gerne gefordert.
»Aber wie soll ich den Lohn erhöhen?«, fragt Behr. »Die Holländer und Spanier bieten ihr Gemüse so billig an, weil das Erdgas, mit dem sie ihre Gewächshäuser betreiben, hoch subventioniert ist. In Spanien sind Arbeitskräfte außerdem viel billiger zu haben. Wie soll ich denn dagegen ankommen?« Das nennt man Globalisierung auf Europäisch. Behr weiß, dass viele sagen, bei einem Stundenlohn von 6,70 Euro bräuchten er und die anderen Bauern sich nicht zu wundern, dass deutsche Arbeitslose keine Lust hätten, aufs Feld zu gehen. Schließlich müssten die ja nicht polnische, sondern deutsche Preise für Miete, Lebensmittel, Auto und Kleidung zahlen. Doch höhere Löhne, sagt er, seien einfach nicht drin: »Oder glauben Sie etwa, der Verbraucher ist bereit, für einen Kopf Salat zwei Euro hinzublättern?«
Noch einer hat sich gemeldet, der im Jobcenter dabei war: Manfred P. Er ist von Beruf Koch, seit einigen Jahren arbeitslos, ohne Obdach; zurzeit wohnt er in einem Heim. Er soll beim Brokkoli anfangen: die Strünke abschneiden, das Feld durchgehen. Auch das ist Akkordarbeit. Sein Kumpel, der bei der Infoveranstaltung neben ihm saß und eigentlich hatte mitkommen wollen, sei erst mal weggefahren, berichtet Manfred P. – in Urlaub. »Die Arbeit hier ist dem viel zu schwer, und lohnen tut sich das ja eigentlich auch nicht.« Trotzdem wolle er selbst es versuchen. Das sei besser, als den ganzen Tag im Obdachlosenheim herumzusitzen.
Landwirt Rudolf Behr brütet über seiner Kartei. Er will sich nicht darauf verlassen, dass die drei, die auch noch versprochen hatten zu kommen, wirklich auftauchen – und vor allem, ob sie durchhalten werden. Er und seine Mitarbeiter forsten also die Karteikästen mit Erntehelfern aus Polen und Rumänen durch, schauen im Computer nach, wo auch Erntehelfer vermerkt sind, die schon Erfahrung haben im Betrieb von Behr, und hängen sich ans Telefon.
In Swierzyn – ein kleiner Flecken in Pommern – packt Bogdan Worach seine Koffer. Er hat fünf Kühe, ein Schwein, Federvieh und ein paar Hektar Land, auf dem er Getreide anbaut. Was Bogdan Worach in Deutschland verdient, ist im Haushalt seiner Familie fest eingeplant. Seit Jahren überlässt er im Sommer Kühe, Schwein und
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