Reich durch Hartz IV
nach Haus. Sie haben hier schon einige kommen und gehen sehen. Länger als zwei Wochen hat noch keiner der Männer und Frauen, die bisher vom Jobcenter geschickt wurden, durchgehalten.
Ich fahre zu Peter L. Seine Freundin versucht, die besonderen Umstände zu erklären: »Früher in der DDR war Peter Lagerarbeiter. Damals war es nicht wichtig, ob er mithielt oder nicht. Heute sind Effizienz und Schnelligkeit gefragt, es wird überall Druck gemacht, sogar auf dem Feld.« Menschen wie Peter L. würden durchs Raster fallen. Und außerdem, so rechnet die Freundin vor, gelohnt hätten sich der Aufwand und der Einsatz ja eigentlich auch nicht wirklich. »Er braucht am Tag, wenn er auf dem Feld arbeitet, eine große Flasche Cola und ein Päckchen Zigaretten. Dazu das Busgeld für die Rückfahrt. Und seine Miete bekommt er auch nicht mehr gezahlt, sobald er Geld verdient. Das lohnt sich doch gar nicht!«, und sie nickt bekräftigend.
Kleine Extrawürste gibt es auch bei Landwirt Behr. Wer vorne beim Kopfsalat nicht mithalten kann, knickt hinten Kartons. Dafür braucht man allerdings nur zwei Leute. Hier haben zwei Brüder ihre Nische gefunden. Seit ein paar Jahren kommen sie jeden Sommer. Am Wochenende, so haben sie sich gleich zu Anfang ausbedungen, wollen sie nicht auch noch knicken. Das nahm der Bauer ohne Murren hin, weil er sie und ihre Arbeit ansonsten schätzt. »Wir haben keinen Beruf gelernt«, erklären die beiden, aber hier ein bisschen was dazuverdienen, das sei schon in Ordnung. »Und was machen Sie dann im Winter?«
»Na, vom Staat leben. Was wir einzahlen, holen wir auch wieder raus.«
Salat zu liefern ist echte Terminarbeit. Bei Bauer Behr klingelt unablässig das Telefon, ständig kommen neue Bestellungen per Mail. Direkt ab Feld verkauft er ganze Lkw-Ladungen Salat, Sellerie, Brokkoli und Rüben. Und nur weil er im Akkord erntet und wie am Fließband produziert, sodass er pünktlich liefert, könne er mit den Konkurrenten mithalten, erzählt er. Kaum ist eine Bestellung eingegangen, rollen seine beladenen Lkw auch schon zum Supermarkt.
Wie Peter L. kam auch Manfred P. aus dem Obdachlosenheim da nicht mehr mit. Nach einer Woche blieb er weg, ohne Erklärung. Der große Druck und das hohe Tempo waren wohl zu viel für ihn. Der Landwirt betont, er gebe den Druck nur weiter. Wer bei ihm arbeite, müsse eben Leistung bringen. So sieht das auch Saleh Üner, der aus der Türkei eingewanderte Vorarbeiter der Kopfsalatbrigade. »Den Polen und Rumänen«, sagt er, »tut auch das Kreuz weh. Spaß macht denen die Arbeit hier auch nicht immer, aber sie sind motiviert, weil sie das Geld eben brauchen. Mit der Nationalität hat das gar nichts zu tun. Wir brüsten uns mit unserem tollen Sozialstaat, aber wenn man seine Lage nicht durch Arbeit verbessern kann, dann ist was faul im System. Und ist das denn sozial, wenn die einen malochen und die anderen nur zugreifen, wenn ihnen was vor die Nase gehalten wird, ohne dafür was tun zu müssen? Unser schönes Sozialsystem geht kaputt, wenn das so weitergeht. Leisten können wir uns das auf Dauer nicht.«
Auf dem Feld erntet derweil eine Art Vereinte Nationen Kohlrabi. Polen und Rumänen, ein paar Asylbewerber aus Ghana und Nigeria, der Elfenbeinküste und aus Vietnam, auch Kurden und Türken vereint nebeneinander – Menschen aus fast der ganzen Welt. Nur Deutsche sind nicht darunter.
Endstation Hartz IV: wie Jugendliche ihre letzte Chance verspielen
Je höher der Bildungsabschluss, je besser die Ausbildung, desto größer ist die Chance, auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft und erfolgreich Fuß zu fassen. Was aber ist mit denen, die nicht mal einen Schulabschluss haben? 2011 waren es rund 50 000 Jugendliche, das heißt 5,6 Prozent aller Schulabgänger, die ihre Schule ohne irgendeinen Abschluss verlassen haben. Man kann davon ausgehen, dass fast alle direkt in der Arbeitslosigkeit landen. Sie sind die Langzeitarbeitslosen von morgen. Mehr als die Hälfte von ihnen hat nämlich weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung, weswegen sie auch schwer vermittelbar sind. Damit ein paar der Schüler wenigstens noch den Hauptschulabschluss nachholen können, schicken die Jobcenter sie auf private Schulen. Aber der Erfolg dieser Maßnahme – wie es im Agentur-Jargon heißt – ist überschaubar.
Ich nehme eine Woche an der Grone-Schule in Celle (es gibt bundesweit Hunderte von Grone-Schulen. Grone ist einer der größten Bildungsträger bundesweit mit 34
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