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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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in Ordnung sind.« Er fühlt sich als Opfer. Das habe ihm der Sozialpädagoge auch immer wieder gesagt, bis er es geglaubt hat.
    All diese jungen Leute hier zwischen 18 und 25 Jahren bekommen Hartz IV. Viele wohnen nicht mehr zu Hause bei ihren Eltern. Also werden auch die Wohn- und Heizkosten von der Arbeitsagentur übernommen. Dazu kommen die Gebühren für den Kurs zum Erwerb des Hauptschulabschlusses. Eigentlich gut investiertes Geld, so könnte man meinen, denn ohne jeglichen Schulabschluss haben sie auf dem Lehrstellenmarkt auch weiterhin so gut wie keine Aussichten. Es ist somit ihre letzte Chance.
    Der Staat hat mit ihnen jedoch schon eine Menge ausprobiert, um ihre Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt zu verbessern: Berufsgrundbildungsjahr mit Betriebspraktikum sowie Abschluss- und Projektprüfungen für BGJ-Absolventen, verschiedenste Kurse, Schulungen. Christopher erzählt: »Zweimal habe ich ein Berufsgrundbildungsjahr gemacht, für Farbtechnik/Raumgestaltung, beide Male habe ich es nicht geschafft. Dann war ich auf der Volkshochschule, habe da einen Hauptschulkurs gemacht. Und dann hatte ich kein Geld mehr und bin hier gelandet.«
    »Und wovon hast du jetzt die letzten vier Jahre gelebt? Nach dem Ende der Hauptschule und dem Kursbeginn hier?«
    »Ja von meinen Eltern und dann halt die letzten anderthalb Jahre kriegte ich Hartz IV.«
    »Was denkst du, was ein Arbeitgeber von dir in Zukunft verlangen wird?«
    »Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit …«
    Doch zuverlässig kommen viele erst mal zu spät aus der Pause zwischen den Unterrichtsstunden. Eigentlich dauert sie eine Viertelstunde. Als Erste trudelt Saskia gemütlich ein, dann Vedat, bepackt mit Einkäufen. Schon sein Vater hat ihm vorgemacht, dass man nichts unbedingt durchhalten muss, man kann ja bequem von der Sozialhilfe oder Hartz IV leben. Auch sein Kumpel findet es nicht schlimm, dass er die Pause auf eine halbe Stunde ausgedehnt hat. Vedat erzählt: »Also, mein Vater hat halt irgendwie so eine Maßnahme gemacht, mit Computer und so. Und das hat er halt auch nicht durchgezogen, irgendwie, er fand das nicht so besonders. Seitdem ist er halt auch arbeitslos.«
    Jeden Tag führt die Schulleiterin Gespräche. Immer wieder brechen Schüler den Kurs ab oder erscheinen nur unregelmäßig, ohne Entschuldigung. Der Schulleiterin platzt fast nie der Kragen, an diesem Morgen jedoch schon: Einer der Schüler ist fast eine ganze Stunde zu spät gekommen, und sie findet, das Maß sei voll. Sie habe ihn schon lange abschulen wollen, erzählt sie, und die Vorgaben des Jobcenters hätten sie dazu auch berechtigt, aber ausgerechnet die Fallmanagerin habe sie händeringend um Nachsicht gebeten. Andreas habe doch eine Lehrstelle in Aussicht – wenn er diesen Kurs einigermaßen über die Runden bringt und einen Abschluss vorzuweisen hat. Doch die Schulleiterin weiß, dass ein negatives Beispiel gern Nachahmer auf den Plan ruft, vor allem dann, wenn die anderen Schüler merken, dass unentschuldigtes Fernbleiben und Zuspätkommen nicht sanktioniert werden. Sie donnert los: »Andreas, du hast zwölf Fehltage, allerdings hattest du dich entschuldigt. Heute Morgen bist du wiederum 45 Minuten zu spät gekommen. Warum?«
    »Weil ich den Bus verpasst habe.«
    »Warum hast du den verpasst?«
    »Weil ich noch länger auf Toilette war.«
    »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Das ist doch kein Grund. Also, ich möchte, dass du dir darüber bewusst bist, dass du hier die allerletzte Chance kriegst. Wenn du noch einmal zu spät kommst oder nicht erscheinst, schule ich dich ab. Mit allen Konsequenzen.«
    Es ist nicht das erste und wird nicht das letzte Mal sein, dass sie hier die Erzieherin spielt. Mit den Eltern zu reden oder sie sogar um Mithilfe zu bitten, sei vollkommen sinnlos. Diese Erfahrung hat sie schon gemacht: »Wir haben auch Eltern, die regelrecht Angst vor ihrem Kind haben, die dann sagen: ›Wir werden mit ihm nicht mehr fertig.‹ Und die schlagen uns dann vor: ›Sehen Sie zu, dass Sie das irgendwie hinkriegen.‹ Wir versuchen das natürlich, wir rufen natürlich bei den Eltern an und fragen: ›Können Sie nicht mal kommen?‹ Oder: ›Könnten Sie nicht so und so auf ihn einwirken?‹ Meistens handelt es sich ja um Jungs. Aber das ist so gut wie nie der Fall. Also, wir haben ganz wenig Erfolg mit Elternarbeit.«
    Während des Unterrichts wird nicht nur telefoniert, sondern auch ungeniert gegessen, getrunken, gequatscht. Die Lehrerin schreitet nicht ein, gibt

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