Reich durch Hartz IV
sicher nicht. Und selbst wenn sie einen Abschluss kriegen, schafften sie es danach nicht, irgendwie anständig zu arbeiten. Weil sie nicht aufstehen können. Also, man muss doch in der Lage sein, morgens allein aufzustehen. Man muss sich einen Wecker stellen können und dann aufstehen.«
Der nächste Morgen. Wieder kommt einer zu spät. Die anderen hocken noch im Flur. Wieder redet sich die Schulleiterin den Mund fusselig. Lehrerin Andrea Holland und ihre Kollegen sind überzeugt, dass es nur ein wirksames Instrument gibt: »Das größte Druckmittel ist, dass sie nicht mehr an der Maßnahme teilnehmen und dass sie dann vom Jobcenter, welches die Maßnahme fördert, kein Geld mehr bekommen. Das ist das einzige Druckmittel, das sie, glaube ich, richtig verstehen.« Die Schulleiterin stimmt dem zu: »Ich denke bei den Sanktionen, Streichung von Unterstützung, Ausgabe von Gutscheinen, da muss man noch schneller, noch härter dranbleiben, um denen ganz klar zu zeigen, wir leben nicht im Schlaraffenland.«
Aber zu diesem letzten Schritt kommt es selten. Mal sind es die Fallmanager im Jobcenter, die doch noch – und immer wieder – eine allerletzte Chance gewähren und die auch den Papierkrieg scheuen, der mit dem Abbruch einer Maßnahme und Sanktionen einhergeht. Mal ist es die Schule, die aufgrund von Abschulung eines Schülers automatisch keine Kursgebühr mehr für seine Teilnahme bekommt. Durch drei Schüler weniger im Kurs verringern sich die Kosten für Schulraum und Lehrpersonal jedoch nicht. Die Wirkung mangelnder Konsequenz auf die jungen Leute ist allerdings fatal: Wenn sie den Eindruck haben, dass Zuspätkommen, Überziehen der Pausen, Stören des Unterrichts oder Schwänzen des Praktikums keine Sanktionen nach sich ziehen, das Geld vom Amt aber weiter pünktlich aufs Konto fließt und die Miete bezahlt wird, warum sollten sie sich dann am Riemen reißen? Sie sehen ihre Altersgenossen, die oft für weniger Geld eine Lehre machen und morgens um sechs Uhr zum Betrieb aufbrechen, während sie sich im Bett noch mal gemütlich umdrehen können. Manche von ihnen glauben immer noch, im Schlaraffenland Deutschland für immer und ewig gut aufgehoben zu sein. Selten wird ihnen von den Eltern, der Schule, vom Jobcenter klargemacht, dass dieses Verhalten in die Sackgasse führt. Keiner macht es ihnen so unbequem wie möglich, wenn sie es sich auf Kosten des Steuerzahlers allzu gemütlich einrichten. Niemand streicht ihnen schnell und energisch die monatliche Zahlung, um stattdessen Lebensmittelpakete oder ein Bett in einer Gemeinschaftsunterkunft anzubieten, bis sie endlich begreifen, dass sie die letzte Chance, die ihnen geboten wird, auch ergreifen müssen. Die jungen Leute haben offenbar den Eindruck: »Komm ich oder komm ich nicht – es passiert sowieso nix.« Eine fatale Signalwirkung hat dieses Verhalten der Verantwortlichen. Darüber hinaus kümmern sich Sozialpädagogen, Streetworker oder »Familienhelfer« besorgt, intensiv und dauerhaft um sie, denn davon hängt ja auch ihr eigener Job ab. Diesen Problemjugendlichen bescheinigen und attestieren sie unablässig, dass sie schließlich aus »schwierigen Verhältnissen« stammen und »nichts dafür könnten«. Im Falle von Jugendlichen mit »Migrationshintergrund« wird auch gern noch hinzugefügt, sie sähen sich schließlich hin- und hergerissen zwischen den Welten und müssten daher behutsam angefasst werden.
Die öffentliche Hand hat 2011 rund 30,5 Milliarden Euro für Kinder- und Jugendhilfe ausgegeben. Gegenüber 2010 stiegen die Ausgaben um 5,7 Prozent. Gut ein Viertel der Bruttoausgaben, 26 Prozent, insgesamt mehr als 7,8 Milliarden Euro, wendeten die öffentlichen Träger für Hilfen zur Erziehung auf. Davon entfielen etwa 4,3 Milliarden Euro auf die Unterbringung junger Menschen außerhalb des Elternhauses. Die Ausgaben für sozialpädagogische Familienhilfe lagen bei 741 Millionen Euro. Der Journalist Gabor Steingart schreibt in seinem Buch Das Ende der Normalität : »Im idyllischen Gütersloh gab die Stadt für eine einzige Familie 286 000 Euro aus, und zwar, weil offenbar alle fünf Kinder Erziehungshilfe benötigten. Bundesweit werden derzeit eine halbe Million Kinder und Heranwachsende auf diese Art von Vater Staat betreut.« Und Walter Wüllenweber weist in seinem Buch Die Asozialen. Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren und wer davon profitiert auf das »Wirtschaftswunder der Sozialbranche« hin und nennt Zahlen: »Die Ausgaben für
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