Reich durch Hartz IV
persönlich, die meisten von ihnen Hartz-IV-Empfänger, die haben Zeit und brauchen das Geld«, schreibt Gezer Özlem im Spiegel. Doch inzwischen hat die Bahn den Braten gerochen. Seit Dezember 2012 gibt es ein neues Angebot: »Bahnkunden mit einer Monats- oder Jahreskarte können ab dann an Sonnabenden eine erwachsene Person und drei eigene Kinder oder Enkel gratis mitnehmen«, sagt Bahn-Pressesprecher Egbert Meyer-Lovis. Es dürfte das Ende der Monatsticket-Schlepperei im ICE gewesen sein.
Doch eines ist sicher: Wer so findig ist, wird sich bald ein neues Geschäftsfeld suchen. Nicht auszudenken, wie erfolgreich Hartzer wie der Konditor wären, würden sie mit gleicher Energie eine Ausbildung machen und sich einen regulären, sozialversicherungspflichtigen Job suchen.
Eine andere Geschäftsidee, über die ich mehrfach gestolpert bin, geht so: Ein Ehepaar, beide Hartz-IV-Bezieher, trennt sich – scheinbar. Beide gehen zum Jobcenter und beantragen jeweils eine Wohnung, die beiden bewilligt wird. Die Frau behält die Kinder. Keiner fragt das Ehepaar, wieso es sich trennt. Beide haben keinen Cent auf der Naht, ein doppelter Haushalt ist teurer als einer. Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, sich zusammenzuraufen? Und wieso ist eigentlich die Gesellschaft für die Folgen von Beziehungsproblemen von Hartz-IV-Empfängern zuständig? Doch wie altmodisch gedacht: Selbstverständlich ist es einem Ehemann nicht zuzumuten, weiter in der Wohnung mit seiner Exfrau zu leben. Das ist gegen die Menschenwürde, na klar. Ist seine Wohnung bewilligt, wird sie untervermietet, für 500 Euro pro Monat, und er zieht zurück zu seiner Familie – ein unschlagbares Geschäftsmodell.
Zwar vermutet auch die Bundesagentur für Arbeit in diesem Bereich eine hohe Dunkelziffer nur scheinbar Alleinerziehender und sieht in dieser Praxis eine Einladung zum Missbrauch, wie eine Sprecherin der Bundesagentur in einem Gespräch mit den Journalisten Rainer Hank und Georg Meck von der FAZ einräumte. In den Jobcentern gingen reihenweise anonyme Hinweise ein, dass Alleinerziehende so allein nicht seien, der Partner den Behörden nur verheimlicht werde. »Für uns ist es jedoch schwierig, dies gerichtsfest nachzuweisen«, sagt die Sprecherin der Bundesagentur. »Hartz IV schafft nicht unbedingt Anreize, in eine Partnerschaft zurückzukehren.«
So kommen sie zusammen, die über 340 Milliarden Euro, die Jahr für Jahr an Finanzamt und Sozialversicherung vorbei erwirtschaftet werden. Die Deutschen sind fleißig und schaffen emsig, aber eben auch gern mal unter Umgehung des Steuersäckels. Millionen Arbeitsplätze könnten entstehen, gäbe es keine Schwarzarbeit. Aber solange Arbeitsrecht und Datenschutz nicht reformiert werden, führen die Zöllner einen fast vergeblichen Kampf. David gegen Goliath.
»Exportschlager« Arbeit
Die Zeiten, als wir in Deutschland Heerscharen Unqualifizierter beschäftigen konnten, sind unwiderruflich vorbei. Tätigkeiten, bei denen Menschen an Fließbändern acht Stunden am Tag ein und dieselbe Bewegung machen, gibt es kaum noch. Arbeitsplätze für Unqualifizierte sind zunehmend Mangelware.
Und das, wofür man keinen Hochschulabschluss braucht und eigentlich nichts gelernt haben muss, wird auch noch ausgelagert. Keiner unternimmt was dagegen.
Die Geschichte zu diesem Paradoxon beginnt an einem Montagmorgen im feinen Berliner Hotel Adlon. Am Wochenende war das Luxushotel ausgebucht. Nun bringen Zimmermädchen alles wieder auf Vordermann, ziehen Betten ab, werfen Handtücher und Bademäntel auf einen großen Haufen und lassen den Wäscheberg dann durch einen großen Schacht in den Keller fallen, wo er in riesige Säcke gestopft wird.
Während die Zimmermädchen in Berlin Sack um Sack füllen, rollt in Gryfino, unweit von Stettin, Eduard Sawicki mit seinem großen Lkw vom Hof der Wäscherei Fliegel. Ich rolle mit. Es ist eine Expedition in die Merkwürdigkeiten deutschen Wirtschaftslebens. Eduard Sawicki wird nämlich von der Hausdame des Adlon in Berlin schon sehnlichst erwartet. Der Countdown läuft, denn im Keller des Adlon füllen sich währenddessen weiter die Wäschesäcke. Einhundertvierzig Kilometer sind es von Gryfino bis Berlin. Zwei Stunden braucht Eduard Sawicki. Dann fährt er mit seinem Lkw beim Lieferanteneingang des Adlon vor, spurtet in den Keller und wuchtet die Säcke mit der schmutzigen Wäsche in den Laderaum seines Lkw.
Eduard Sawicki holt nicht nur im Adlon Wäsche ab, sondern auch im
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