Reich durch Hartz IV
auf die Frage der Zollbeamten, ob jemand Leistungsempfänger ist, das heißt, Hartz IV bekommt, stets dieselbe ist: »Ja, aber hier verdiene ich nur 100 Euro im Monat.« Haken die Beamten dann nach, wie viel derjenige arbeitet, heißt es ergänzend dazu: »Ich habe gerade erst vor einer Stunde angefangen zu arbeiten, und ich komme auch nur zweimal pro Monat.« Das Risiko, mit diesem »Geschäftsmodell« erwischt zu werden, ist denkbar gering. Gerade mal 6500 Zollbeamte arbeiten bundesweit bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Dass sie am nächsten Tag oder in der darauffolgenden Woche wieder auf der Matte stehen, um die Angaben zu überprüfen, ist unwahrscheinlich, und so kann man das Risiko, schwarz hinzuzuverdienen, durchaus eingehen.
Die Zollbeamten versuchen, ihren Frust angesichts des Hase-und-Igel-Spiels nicht allzu deutlich zu zeigen. Es sei jedoch eine alltägliche Erfahrung, erzählt einer von ihnen auf der Fahrt zur Kontrolle: »Die Standardausrede ist: ›Ich bin heute den ersten Tag hier. Ich habe gerade erst angefangen zu arbeiten. Ein Hartz-IV-Empfänger kann doch anrechnungsfrei 100 Euro dazuverdienen.‹ Alles andere, was er dazuverdient, würde auf die Stütze, die er vom Jobcenter bekommt, angerechnet werden. Das wollen solche Leute natürlich nicht – und darum geben sie immer diese Anrechnungsfreigrenze an, also 100 Euro. Manche geben sogar zu, dass sie 20, 30 Wochenstunden arbeiten. Wir kontrollieren natürlich auch die Einsatz- und Stundenpläne, die ja oft an der Wand für jedermann einsehbar hängen. Bei einer Arbeitszeit von 20, 30 Wochenstunden liegt der Verdacht natürlich auf der Hand, dass sie den Rest des Geldes schwarz ausbezahlt bekommen. Nachweisen lässt sich das so gut wie nie, denn sie können in jedem Fall ja angeben, dass sie für diese Arbeit in der Küche eben nur vier, fünf Euro bekommen. Ob der Rest cash auf die Hand ausgezahlt wird, ist nie nachzuweisen.«
Aufbrechen ließe sich dieses Geschäftsmodell, wenn das Jobcenter seine Kunden mehrmals in der Woche zum Gespräch einladen und nicht nur alle zwei Monate gemeinsam überlegen würde, was möglich wäre, um sie aus der Arbeitslosigkeit herauszubekommen. Aufbrechen ließe es sich auch, wenn für die Grundsicherung grundsätzlich eine Gegenleistung verlangt würde, zum Beispiel die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. Das ist bei uns – im Gegensatz zu Holland – nicht vorgesehen. Offensichtlich ein Fehler, denn nirgendwo in Europa sind Langzeitarbeitslose länger auf Grundsicherung angewiesen als in Deutschland. Alles scheint dafür zu sprechen, dass das System selbst geradezu zum Missbrauch einlädt. Auch junge Langzeitarbeitslose müssen sich nicht bewegen, wenn sie denn »was im Rücken haben«. Ständige »Migräneanfälle«, »Krankheiten« verschiedenster Art sind Fallmanagern intern als gängige Ausrede für die Unmöglichkeit, eine Arbeit anzunehmen, bekannt. Dagegen sind sie machtlos.
Vor allem lohnt es sich für beide Seiten, das Spiel mitzumachen. Für Arbeitgeber ist es von Vorteil, weil sie eine Menge Abgaben sparen, wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, hohe Krankenkassenbeiträge und die Beiträge für die Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Der Wirt, der Bauunternehmer, der Chef des Taxibetriebs wissen: Die Krankenversicherung der angeblichen Hundert-Euro-Arbeitskraft ist ja über das Jobcenter abgesichert – eine klassische Win-Win-Situation.
Letztlich hat der angebliche Minijobber aber doch das Nachsehen, da so gut wie nichts in die Rentenversicherung eingezahlt wird. Am Ende stehen eine Minirente und eine Arbeitsministerin, die in allen Medien die drohende Altersarmut beklagt und beteuert, mit einer Rentenaufstockung etwas Nachhaltiges dagegen tun zu wollen – finanziert natürlich aus Steuergeldern.
Der Zoll findet in der Küche einer Dönerbude zwei Männer vor. Einer von ihnen ist der Wirt, der andere behauptet, diesen nur zu besuchen. Die Zöllnerin glaubt ihm nicht, verlangt den Ausweis zu sehen. Hier zu arbeiten bestreitet er nun umso vehementer. Möglicherweise ist nur durch Zufall ein Fisch ins Netz gegangen, denn systematisch und effektiv nachweisen lässt sich Schwarzarbeit mit punktuellen Kontrollen wohl kaum.
Auch bei einer Taxiüberprüfung erweist sich die Finanzkontrolle Schwarzarbeit als zahnloser Tiger. Es zeigt sich erneut, dass der Staat selbst es den Kontrolleuren nicht leicht macht oder manchmal auch verhindert, gegen Missbrauch vorzugehen. So erklärt ein Taxifahrer,
Weitere Kostenlose Bücher