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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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beauftragt haben. Jetzt schweben hier Operationskittel und Nachthemden an dünnen Bügeln, wie von Geisterhand bewegt, durch die Hallen. Inzwischen hat sich der Betrieb auf die Reinigung von Krankenhauswäsche spezialisiert. Dass es jenseits der Grenze Mitbewerber gibt, hat sich natürlich herumgesprochen. »Klar ist das ärgerlich. Wir haben noch Luft und könnten die Wäsche der Hotels natürlich mitwaschen«, sagt eine Frau am Sortierband. »Und wären Sie bereit, auch abends, nachts und am Wochenende zu arbeiten, notfalls auch an Ostern und während der Weihnachtsfeiertage?« Die Frau guckt verblüfft: »Sonntags und Weihnachten? Nein, ganz bestimmt nicht.«
    Der Chef der Wäscherei stammt aus der ehemaligen DDR. Er dachte erst, die sozialistische VEB-Bürokratie sei nicht zu toppen, und merkt nun, dass die bundesdeutsche Regulierungswut da durchaus mithalten kann. »Wir könnten natürlich auch mal am Wochenende arbeiten, aber dann muss ich das beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt anmelden. Mehrere Tage vorab. Die Hotels brauchen aber eine schnellere und verlässliche Lösung. Die Häuser, die wir früher belieferten, sind auch deshalb abgesprungen, weil wir deren Forderungen nach Sonntags- und Feiertagslieferungen nicht erfüllen konnten. Einmal haben wir es einfach gewagt, ohne Antrag zu waschen. Da kam gleich der Arbeitsschutz zu uns und hat uns für den Wiederholungsfall eine saftige Geldstrafe angedroht.«
    Der Hoteldirektor des Adlon bestätigt die Kundenwünsche. Die Gäste, die hier und in anderen Fünfsternehotels abstiegen, seien eben anspruchsvoll. Er und seine Kollegen könnten nicht abwarten, ob eine deutsche Wäscherei eine Erlaubnis für Sonntagsarbeit bekomme oder nicht. Hotels dieser Klasse bräuchten zufriedene Gäste an jedem Tag der Woche.
    »Warum kaufen Sie nicht einfach den doppelten und dreifachen Wäschesatz? Dann hätten Sie doch Vorrat?«, frage ich.
    »Und wo soll ich den lagern?«, hält der Direktor dagegen. »In so einem Haus muss jeder Quadratmeter Geld verdienen. Lagerraum wäre tote Fläche, die Platz beansprucht, aber nichts einbrächte. Den Raum haben wir gar nicht. Und es wäre auch eine Rieseninvestition: ein paar Hundert Bezüge, Handtücher, Bademäntel und Tischdecken mehr. Was glauben Sie, was das kostet? Da kommt einiges zusammen. Unser Hotelbetrieb brummt, und natürlich das Restaurant, vor allem am Wochenende. Das heißt, wir brauchen auch am Sonntag frische Wäsche. Und das garantiert uns Fliegel mit seinen Mitarbeitern in Polen. Und außerdem bekommen wir die Wäsche aus Polen schon vorsortiert. Wäre das nicht so, bräuchte ich noch zusätzliches Personal, das diese Arbeit auch noch macht. Aber das finden Sie erst mal. Schon jetzt arbeiten wir am Limit, weil sich zu wenige Arbeitskräfte melden, die bereit sind, den Schichtbetrieb in einem Hotel mitzumachen.«
    Henrik Bier, Vorsitzender des Ostdeutschen Textilreinigungsverbands, zeigte in einem Gespräch mit der taz Verständnis für den polnischen Standort. »Ich habe da keine Bedenken«, sagt er, »schließlich endet das vereinte Europa nicht an der Oder-Neiße-Grenze.« Wenn ein Unternehmen Vorteile wie niedrigere Lohnkosten oder eben die Möglichkeit, sonntags zu arbeiten, nutze, sei das legitim. Zumal man Fliegel nicht als Preisdrücker bezeichnen könnte: Das Unternehmen mache seine Gewinne nicht aufgrund von Dumpingpreisen, sondern eines qualitativ hochwertigen Angebots, das so in Deutschland kaum umzusetzen wäre.
    Auch bis ins Schwimmbad des Bristol hat sich herumgesprochen, dass die Handtücher eine weitere Reise hinter sich haben als manche Gäste. Die ruhen sich im Liegestuhl am Rand des Pools in flauschigen Bademänteln aus, die Eva Chorebka gefaltet hat. »Ja, ich habe schon mal gehört, dass die Bademäntel in Polen gewaschen werden«, sagt ein Hotelgast. »Da kommt man schon ins Grübeln und überlegt, wieso das hier in Deutschland nicht möglich ist. Da wird den ganzen Tag von sozialer Gerechtigkeit gesprochen, aber ist es gerecht, dass wir Arbeitslose mit einer Grundsicherung fürs Nichtstun ausstatten und so eine einfache Arbeit – für die man nicht Ingenieur sein und kein Abitur haben muss – ins Ausland abwandern lassen?«
    Eduard Sawicki braust jeden Tag mit seinem Wäschewagen am Arbeitsamt Prenzlau vorbei. Die Arbeitslosenquote für dessen Einzugsbereich liegt derzeit bei traurigen 18 Prozent. Als strukturschwach bezeichnen Politiker diese Gegend gern. Diejenigen, die hier in der

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