Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
Vom Netzwerk:
einem Gespräch mit Walter Wüllenweber und später in dem schon erwähnten Interview mit der Welt einräumte. Walter Wüllenweber beschreibt die Geburt des Armutsbegriffs in seinem Buch »Die Asozialen«: »In einem langen Gespräch hat er [Ulrich Schneider Anmerkung d. A.] mir erklärt, wie er und einige seiner Sozialmanagerkollegen sich vor Jahren in einer strategischen Entscheidung auf das Wort ›Armut‹ geeinigt haben. ›Armut war für uns immer auch ein politischer Kampfbegriff‹, hat er zugegeben.« Und in Ulrich Schneiders Buch Armes Deutschland! heißt es: »Armut ist ein zutiefst interessengebundener Begriff. Eingebettet in parteitaktisches oder machtpolitisches Kalkül, eignet er [der Begriff Armut, Anmerkung d. A.] sich trefflich, um Regierungen in Erklärungsnöte zu bringen und ihr Versagen nachzuweisen.«
    Im Welt -Interview gab Schneider auf die Frage, ob es ihm zu verdanken sei, dass der Armutsbegriff sich inzwischen etabliert habe, offen zu: »Daran haben wir gearbeitet. Wir haben 1989 damit angefangen, es so zu benennen. Bis dahin war von Armut keine Rede. Als wir ausgerechnet am 9. November 1989 zum ersten Mal einen Bericht vorlegten, bei dem wir die Dreistigkeit besaßen, ihn ›Armutsbericht‹ zu nennen, waren wir froh, dass die Mauer so spät am Abend fiel, sonst hätten wir es nicht mal mehr in die Acht-Uhr-Nachrichten geschafft.«
    Eine überaus erfolgreiche PR-Maßnahme, denn inzwischen gibt es regelmäßig Armutsberichte, stets verbunden mit der Forderung nach mehr Mitteln zur Bekämpfung dieses vermeintlichen Problems. Armut bekämpfen wollen die Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands selbstverständlich gern, gegen Bares.
    So gut wie nie wird in Berichten über zunehmende Armut darüber informiert, dass das hierzulande keineswegs Hunger und Obdachlosigkeit bedeutet, was wohl die Mehrzahl der Bürger mit diesem Begriff assoziieren würde. Denn auch bei der Armut ist alles eine Frage der Definition: Danach gilt als arm, wer in der Regel weniger als 40 oder 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Was darunter zu verstehen ist, schwankt je nach Bezugspunkt und Quelle.
    Dagmar Schulze-Heuling, Diplom-Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin, hat in einem Essay in der Welt folgendes Gedankenspiel aufgemacht: »Nehmen wir an, Sie lebten in einer Stadt, in der alle Menschen ein Einkommen von mindestens einer Million Euro mit heutiger Kaufkraft erzielten. Das Median-Einkommen beträgt, sagen wir, 10 Millionen Euro. Dann wären nach dem gängigen Maßstab alle Menschen, die ein bis fünf Millionen Euro im Jahr verdienen, arm. Das ist natürlich eine absurde Vorstellung. Doch dieses Ergebnis liegt in der Logik der relativen Armutsdefinition, der zufolge der am wenigsten reiche Teil der Bevölkerung arm ist.« Dann weist sie noch darauf hin, dass diese Hypothese nur auf eine wohlhabende Gesellschaft angewendet werden könnte: »Denn sobald tatsächliche, absolute Armut ein Massenphänomen ist, können relative Indikatoren sie nicht mehr messen. Wenn also die Mehrheit der Gesellschaft mit Hunger zu kämpfen oder die ärmere Hälfte der Deutschen plötzlich nur hundert Euro im Monat verdienen würde, dann ginge es uns zwar deutlich schlechter als jetzt, doch der Armuts- und Reichtumsbericht würde einen traumhaften Wert ausweisen – eine Armutsquote von Null Prozent.«
    Auch Walter Wüllenweber macht in seinem Buch »Die Asozialen« ein interessantes Gedankenspiel: »Wie wenig plausibel dieser Katalog von Armutsdefinition die Realität abbildet, zeigt ein Ländervergleich«, erklärt er. »Deutschland ist eines der reichsten Länder in der Welt, eines der reichsten in der Europäischen Union. Der Sozialstaat garantiert Bedürftigen ungewöhnlich hohe Transferzahlungen. Dennoch ist Deutschland ein Land mit einer hohen Gefahr zu verarmen. Statistisch gesehen. Was das statistische Armutsrisiko angeht, sind Ungarn oder die Slowakei weitaus ungefährlicher. Am sichersten ist die Tschechische Republik. Da ist die Armutsgefährdungsquote nur halb so groß wie in Deutschland. So sieht die Welt durch die Brille der Armutsforscher aus.« Ironisch fährt Walter Wüllenweber fort: »Europas Armutsflüchtlinge haben das offenbar noch nicht begriffen. Sie fliehen regelmäßig aus den armutssicheren Ländern, ausgerechnet in das Zentrum der Armut nach Deutschland. Eigentlich müssten die Migrationsströme umgekehrt

Weitere Kostenlose Bücher