Reich durch Hartz IV
Schlange stehen, um ihren Antrag auf Arbeitslosengeld abzugeben, wissen, dass Arbeit, die sie auch erledigen könnten, jeden Tag an ihnen vorbeifährt. Nachdem sie Arbeitslosengeld II beantragt haben, spreche ich sie an. Sie berichten, dass es hier früher genug Arbeit gegeben habe, aber nun sei eben alles anders. »Wir hatten hier früher eine Wäscherei«, erzählt Doris L., eine Frau von Mitte 50, »und die hatte gut zu tun. Die hat für Betriebe und Kindergärten gewaschen. Die sind jetzt alle weg, leider. Ich bin mir sicher, wenn ein Investor eine Wäscherei aufmachte, würden sich viele bewerben. Die meisten wollen doch arbeiten. Klar, es sind immer welche dabei, die lieber auf der faulen Haut liegen, aber ich selbst würde das schon machen.«
»Aber nicht für 700 Euro brutto«, mischt sich eine Frau ein, die zugehört hat. »Da bleibt ja unterm Strich weniger als jetzt.«
»Wie viel müssten Sie denn wenigstens verdienen?«
»Na ja, mindestens 1400 Euro.«
»Auf die Hand müsste ich mindestens 2000 Euro bekommen«, meint eine andere, die in der ehemaligen DDR in einer Kälberaufzuchtstation gearbeitet hat. »Ich hab’ ja früher gut verdient«, mischt sich noch jemand in die Unterhaltung. »Dahinter zurückfallen möchte man doch nicht. Ich jedenfalls würde nicht für so wenig Geld arbeiten. Das ist einfach nicht genug.«
Franz-Josef Wiesemann, Chef der Wäscherei Fliegel, ist deutscher Bürger und zahlt in Deutschland seine Steuern. Er weiß, dass in Deutschland heftig über das Thema Arbeit, die abwandert, diskutiert wird. Ihm wird vorgeworfen, er sei ein Blutsauger, ein übler Kapitalist, der nach Polen gegangen sei, um abzusahnen. Ein schlechter Bürger, kein Patriot eben. Diesen Vorwurf lässt er nicht gelten, aber auch er sieht keinen Ausweg aus dem Dilemma: Arbeit »wandert aus«, Aufträge gehen dem Unternehmen verloren, gleichzeitig muss der Staat die Arbeitslosigkeit finanzieren. »Ich habe keine Patentlösung. Aber ich denke, man muss sicher von einem gewissen Besitzstandsdenken Abschied nehmen. Ich kann nicht sagen, ich habe das und das gelernt, und nur das will ich machen. Das wird nicht funktionieren. Wenn man nicht gezwungen wird, auch mal was anderes auszuprobieren, dann werden das viele nicht freiwillig tun. Dann werden wir weiterhin drei Millionen Arbeitslose haben. Und möglicherweise werden es noch mehr. Die Arbeitslosen müssen deutlich flexibler werden. Und der Staat darf eine Gegenleistung erwarten. Viele Arbeitslose meinen ja, sie hätten einen Rechtsanspruch auf alles, und zwar ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Ich denke, das müsste aufhören. Ich ziehe mir den Schuh nicht an, wenn behauptet wird, dass wir den Deutschen die Arbeit wegnehmen. Unsere Wäsche-Lkws sind aus deutscher Produktion. Die Waschmaschinen, die Bügel- und Mangelgeräte ebenfalls. Wir tragen damit ja auch dazu bei, dass Arbeitsplätze im Bereich Maschinenbau geschaffen werden. Oder für Ingenieure. Wir haben 4,5 Millionen Euro in die Ausstattung des Betriebs investiert. Das sichert ja auch Arbeitsplätze in Deutschland. Und im unteren Lohnbereich, in den die Menschen, die nichts gelernt haben, einzuordnen sind, da müssen wir einfach mehr verlangen können und dürfen den Leuten nicht erlauben, Arbeit abzulehnen, nur weil sie unbequem ist.«
Eduard Sawicki und seine Kollegen sind wieder auf dem Weg nach Berlin. Nachtschicht. Sie kommen auch an der Wohnung von Doris L. vorbei, die ich im Jobcenter von Prenzlau kennengelernt habe. Sie habe die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch mal irgendwo einen Job zu bekommen. Schließlich habe sie ihr Leben lang voll gearbeitet – bis zur Wende. Doch weggehen aus Prenzlau, nach Berlin etwa, in die Wäscherei des Bristol, wo händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, wolle sie nicht. In Prenzlau wohnten ihre Freunde und Bekannten. Hier habe sie eine kleine und bezahlbare Wohnung. Klar könnte sie im Bristol sofort anfangen, aber dann müsste sie möglicherweise umziehen oder jeden Tag über eine Stunde fahren. Nein, das wolle sie nicht.
Als Erstes fährt Eduard Sawicki heute Abend das Madison am Potsdamer Platz an. Später beliefert er das Dorint am Gendarmenmarkt. Es gibt Hotels, die können nur spät abends oder nachts beliefert werden, weil dort tagsüber das Leben tobt und der Verkehr zu dicht ist, um längere Zeit einen Fahrsteifen blockieren zu können. Fliegel und die Fahrer haben sich darauf eingestellt. In Berlin gehen die Leute jetzt aus,
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