Reich durch Hartz IV
den Fugen geraten, ist wenigstens auf die Super Nanny oder den Kommissar von K11 Verlass. Sie kommen zuverlässig ins Haus und geben dem Leben einen festen Rahmen. Bei Zoe-Jennifer und Kevin ist die Kiste den ganzen Tag gelaufen. Der Vater ist Bauarbeiter und bekommt zurzeit Schlechtwettergeld. Lauras Schwester verpasst keine Sendung von Big Brother oder Germany’s Next Topmodel , und auch die Sechsjährige hat schon ihr festes Abendprogramm.
Die Hamburger Damen, die den Mittagstisch gegründet haben, wollen den Kindern etwas Besonderes bieten. Für Sonntag haben sie Freikarten für ein Konzert, doch nur wenige der Angemeldeten tauchen auf. Ines Hinrichs telefoniert seit dem frühen Morgen hinterher, denn sie macht täglich die Erfahrung, dass viele Eltern ihr eigenes Leben nicht in den Griff bekommen und das ihrer Kinder nicht zuverlässig planen können.
Doch irgendwann zuckeln alle endlich los. Auf der Bühne wird Mozart für Kinder gespielt. Sie können mitsingen, sich zur Musik bewegen. Regungslos und staunend sitzt der kleine Kevin neben mir: »Das ist ja ein cooler Film«, flüstert er plötzlich und zieht mich am Arm. Irgendwann begreift er, dass es Menschen sind, die auf Instrumenten spielen, singen, sich bewegen. Mozart zum Anfassen und Mitmachen. Laura, Kevin, Zoe-Jennifer und Jaqueline sind nach dem Konzert völlig aus dem Häuschen, reden noch in der U-Bahn davon, dass dort »richtige Menschen« zu sehen waren und dass sie sogar mitmachen durften. Vielleicht ist hier ein Keim gelegt worden für die Entdeckung einer anderen Welt ohne Krimis, Action und Krawallshows, ein erster Schritt weg von Hartz IV und Aussichtslosigkeit.
Heinz Buschkowsky schreibt in seinem Buch Neukölln ist überall von der Möglichkeit, in Berlin von der Zuzahlung von Lernmitteln freigestellt zu werden: »Nicht zu den Lernmitteln beisteuern müssen alle Erziehungsberechtigten, die öffentliche Leistungen wie Hartz IV, Sozialhilfe, Wohngeld oder BAföG beziehen. Der Anteil betrug im Schuljahr 2011/2012 in ganz Neukölln 55 Prozent und im Norden 79 Prozent. Hier weisen nicht wenige Schulen sogar Befreiungen von über 90 Prozent aus […] Die Befreiungen bedeuten, dass in einer Schule 80 Prozent, 90 Prozent oder fast alle Eltern keiner geregelten offiziellen Arbeit nachgehen.« Die Kinder dieser Eltern erleben nie, dass Vater oder Mutter morgens aufstehen, zur Arbeit fahren und abends vom Tag im Betrieb oder der Firma erzählen. Sie kennen nicht das Gefühl, dass Vater oder Mutter nach Hause kommen und beim Abendessen am Tisch von der Arbeit, von Kollegen, einer Auseinandersetzung mit dem Chef, von Erfolg oder Misserfolg berichten. Warum sollten sie sich in der Schule anstrengen oder zuhören, wenn die Lehrerin sie zu guten Leistungen anspornt, damit sie später einen guten Abschluss, eine Lehrstelle, einen Arbeitsplatz bekommen? Sie kriegen ja in ihrem Alltag mit, dass das Geld vom Amt kommt und nicht von der Firma: ein fataler Anreiz und ein Kreislauf, der Hartz-IV-Dynastien befördert.
Die Frage ist: wollen wir das ? Befördert unsere »Armutsindustrie«, die »Leistungsempfänger« unterstützt, ohne »Leistung« zu erwarten oder gar zu fordern, nicht dauerhaft eine Vollkaskomentalität? Sollten wir hier nicht energisch umsteuern, Forderungen nach immer mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger zurückweisen und stattdessen lieber in Kinderbetreuung und Ganztagsschulen investieren, damit Kinder aus solchen Milieus herauskommen?
Und wir sollten Klartext reden und uns darüber klarwerden, dass diejenigen, die ständig von »Armut« in Deutschland reden, dies keineswegs uneigennützig tun, sondern auch und vor allem ihren eigenen Arbeitsplatz im Blick haben.
Die aus Spenden finanzierten Suppenküchen von Pfarrer Siggelkow und Susanne Aschenbrenner, um nur zwei von vielen zu nennen, zeigen, dass dieser Art von Armut nicht mit mehr Geld beizukommen ist, sondern nur mit mehr Konsequenz, denn: Wenn Leistungen durch den Staat abgekoppelt werden von jedweder Form von Arbeit, wachsen ganze Generationen heran, die es für selbstverständlich halten, dauerhaft alimentiert zu werden.
Wie es anders gehen kann und was es bringt, umzusteuern, zeigt das nächste Kapitel.
Wie machen es die anderen? Vorbild Holland
Wir fahren in die Niederlande, viel Polderland und eine Einwohnerzahl von gerade mal 16 Millionen. Alles ist überschaubar und die Städtchen wirken adrett. Wie läuft es eigentlich hier mit Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe? Ist es
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