Reich durch Hartz IV
Deutschland führe.
Mittags nach der Schule trudeln die Kinder ein, holen sich an der Ausgabe ihr Mittagessen und können anschließend in der Arche spielen und Hausaufgaben machen. Gott sei Dank. Diese Kinder haben keine Krätze und hungern auch nicht. »Trotzdem«, sagt Pastor Siggelkow, »sind sie arm.« Er meint damit, viele seien verwahrlost, weil ihre Eltern sich nicht um sie kümmerten, überfordert oder irgendwann richtig abgerutscht seien. Die Kinder badeten das alles aus, sagt Siggelkow.
Der Pastor weiß, dass er für viele Kinder so etwas wie ein Ersatzvater ist, denn zu Hause kommen und gehen die Männer ihrer Mütter, und keine Beziehung ist verlässlich. Nach dem Essen können die Kinder spielen, die schwierigen Lebensverhältnisse zu Hause vergessen, mal nicht darüber grübeln, warum der Vater seit Langem verschwunden ist. Die Arche lebt von Spenden, und oft wissen die Siggelkows – der Pastor und seine Frau – nicht, wie es weitergehen soll, weil es oft nicht reiche, sagt Karin Siggelkow, die Frau des Pastors. Viele Kinder gingen ohne Frühstück zur Schule, weil die Eltern mit dem Leben einfach nicht klarkämen. Sie schafften es nicht, morgens aufzustehen, ihre Kinder zu wecken, sie dazu anzuhalten, sich zu waschen, die Zähne zu putzen. Sie machten ihnen kein Frühstück und schmierten ihnen kein Pausenbrot.
Schulzahnärzte erzählen, sie könnten inzwischen an den Gebissen von Kindern ablesen, aus welchen Verhältnissen sie kämen. Nicht, weil das Geld für den Zahnarzt nicht da sei, sondern weil es vielen Eltern egal sei, ob die Kinder ihre Zähne putzen, ständig Limonade trinken und Lutscher essen.
Trotz der Versorgung ihrer Kinder in der Arche, und obwohl sich viele Eltern gar nicht oder nur unzureichend um ihre Kinder kümmern, beziehen sie Kindergeld und Hartz IV für ihre Kinder. Der Hartz-IV-Satz beträgt seit dem 1. Januar 2013 immerhin 224 Euro für Kinder bis zu sechs Jahren, 255 Euro für Kinder von sechs bis 13, 289 Euro für 14- bis 17-Jährige, ab Volljährigkeit bis einschließlich 24 Jahre beträgt der Hartz-IV-Satz 306 Euro. Die Eltern bekommen dieses Geld, auch wenn sie es nicht für ihre Kinder ausgeben. Die Bezüge entfallen auch dann nicht, wenn klar wird, dass die Kinder nicht einmal ein Frühstück, ein Pausenbrot, ein warmes Essen, Schulhefte und Bücher bekommen. Auch wenn Migrantenkinder mit null Deutschkenntnissen und damit schlechten Startchancen eingeschult werden, obwohl die Anmeldung in einem Kindergarten oder einer Kita ein leichtes gewesen wäre, wird das nicht mit dem Entzug des Kindergelds sanktioniert.
Der Hamburger Bernd Siggelkow, der nun in Berlin lebt, kennt schwierige Verhältnisse, denn er ist in St. Pauli aufgewachsen und diente bei der Heilsarmee im Rotlichtmilieu. Als er sah, dass die Leute in Hellersdorf Hilfe nötig haben, beschlossen er und seine Frau umzuziehen. Sie sind überzeugt, dass ihre Entscheidung richtig war. Die Kinder kommen gerne und fragen den Pastor immer mal wieder, wer denn der merkwürdige Mann am Kreuz sei, der in der Arche hängt, denn mit Religion ist in Hellersdorf niemand großgeworden.
Der Koch Peter T. ist seit Beginn dabei. Seine Kinder und seine Exfrau kommen auch in die Arche. Er kennt hier alle beim Namen, weiß, wessen Vater sich verdrückt hat oder im Knast sitzt, welche Mutter sich nicht um ihre Kinder kümmert oder arbeitet bis zum Umfallen. Er ist sicher: die Kinder brauchen außer Essen auch Anteilnahme. Er selbst ist Hellersdorfer und kennt die Verhältnisse. Sein Leben ist wie das vieler anderer mit der Wende aus den Fugen geraten. Sein Werk hat dicht gemacht, die Kinderkrippe auch, und dass er den ganzen Tag zu Hause saß, hat seine Ehe nicht verkraftet.
Peter T. träumt vom Wilden Westen, und dass er mal irgendwann dorthin fahren kann – mit Lebensgefährtin Uschi, seinen Kindern und Enkelkindern. Er lebt von Hartz IV plus 400 Euro durch den Job in der Arche. In einer Gaststätte oder in einem Hotel wolle er nicht mehr arbeiten. In Pastor Siggelkows Suppenküche sei es gemütlich und heimelig, sagt er, wie bei einer Familie. Das Kollektiv sei nett und es gebe keinen Chef, der Druck mache, jeder stünde für den anderen ein – fast so wie in alten Zeiten.
Jeden Tag kommt Mendy mit ihrer kleinen Schwester Patricia in die Arche. Die Kleine wird gefüttert, gewickelt, herumgefahren, bis sie einschläft. Dann kann Mendy ein bisschen spielen. Jessica und Saskia, die mittleren Schwestern, kommen direkt vom
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