Reich durch Hartz IV
hier so einfach wie in Deutschland, es sich mithilfe von Vater Staat bequem zu machen?
Das niederländische Pendant zu Hartz IV ist das WWB. Die Abkürzung steht für Wet Werk en Bijstand, Gesetz für Arbeit und Unterstützung. 2004 wurde in den Niederlanden das Ruder radikal herumgerissen. Das heißt, wer hier Geld vom Amt will oder braucht, ist gezwungen, aktiv zu werden. Leistung ohne Gegenleistung gibt es hier nicht mehr. Die Grundsicherung für einen Erwachsenen beträgt seit 1. Januar 2013 879,10 Euro; 10,44 Euro weniger als im Jahr davor. Damit müssen Nahrungsmittel, Miete und Heizkosten bezahlt sowie sämtlicher Bedarf des täglichen Lebens gedeckt werden. Im Mai erfolgt eine Einmalzahlung von 561,48 Euro, gedacht als Urlaubsgeld. Im Gegenzug müssen die Bezieher auch jeden Job annehmen, der sich bietet. Findet sich keine Stelle auf dem Ersten Arbeitsmarkt, müssen die Empfänger von Arbeitslosengeld für eine Maßnahme zur »sozialen Aktivierung« zur Verfügung stehen. »Jeder hat irgendwann gesehen, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir hatten eine Million Erwerbsunfähige, bei sechs Millionen Beschäftigten«, sagt Piet Hein Donner, bis 2010 Sozial- und Arbeitsminister der Niederlande. Darum gilt seit der Reform das Prinzip: Geld, ohne etwas dafür zu tun, gibt es nicht mehr.
Kein Wunder also, dass Ursula von der Leyen nach gerade mal 100 Tagen im Amt ins Nachbarland reiste und feststellte: »Die Niederlande sind der deutschen Entwicklung voraus.« Maike Rademaker von der Financial Times begleitete die Ministerin damals auf ihrer Reise und war beim Besuch eines Fitnesscenters für Arbeitslose dabei. Sie berichtete: »Zwischen den Fitnessgeräten steht ein Trainer, mit Ohrring, glatzköpfig, muskelbepackt und tätowiert: »Wechseln«, brüllt der Holländer [die Trainierenden an, Anm. d. A.] und sofort wechseln die stumm ackernden Männer auf ein anderes Gerät. Sprachlos ist kurzfristig auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Ein Fitnesscenter für Arbeitslose, das hat sie nicht erwartet in Amsterdam. »Das ist schon verblüffend«, kommentiert sie die Erfahrung später und lobt: »Aber es ist überzeugend – wer arbeiten will, muss fit sein.«
»Alle in Bewegung halten«, fordert auch die Gemeindedirektorin der Gemeinde Drechsteden, Yvonne Bishar. Das sei das Geheimnis des Erfolgs der neuen Arbeitsmarktpolitik und das wichtigste Ziel aller Bemühungen. Keiner solle sich daran gewöhnen, vier oder gar sechs Wochen zu Hause zu sitzen, auszuschlafen, den Tag zu vertrödeln und fernzusehen. Also werden auch in der Gemeinde Drechtsteden einige derjenigen, die sich arbeitslos gemeldet haben, erst mal ins Fitnesscenter geschickt, wo sie Laufprogramme absolvieren und vor allem durchhalten müssen. Die Philosophie dahinter ist ganz simpel: Nur körperlich fitte Menschen schaffen es, morgens aufzustehen und einen Arbeitstag hinter sich zu bringen. Sie rennen auf Laufbändern, wuchten Gewichte, machen Sit-ups und Kniebeugen. In Schwung bleiben, lautet einmal mehr die Devise. Die Kommune zahlt das Fitwerden und betrachtet das als Investition in die Zukunft. Denn Arbeitslose sollen daran gehindert werden, nur rumzusitzen, und sie sollen lernen, im Job dabei zu bleiben, nicht aufzugeben. Negativ reagieren die Teilnehmer darauf offenbar nicht. Sie sehen es als Teil eines sinnvollen Programms, das sie zurück ins Arbeitsleben bringen soll.
Eine junge Frau rennt mit heraushängender Zunge auf dem Laufband und lässt sich von meiner Frage nicht beirren, ob sie das für sinnvoll halte. »Ja, durchaus. Man fühlt sich besser und wird fitter.«
»Wie lange sind Sie bereits arbeitslos?«
»Acht Monate.«
»Was sind Sie von Beruf?«
»Ich habe in einer Rasierklingenfabrik gearbeitet.«
Wer fit genug ist, muss anschließend und so bald wie irgend möglich eine Ausbildung machen, im Garten oder auf dem Bau arbeiten oder einen zumutbaren Job annehmen. Mittlerweile sieht man das als selbstverständlich an. Die Reform wurde vor ihrer Einführung jedoch heftig diskutiert. Einige sprachen sogar von Zwangsarbeit, Herzlosigkeit und fragten, ob so eine »Ausbeutung« überhaupt vertretbar sei. Auch die Begeisterung der Arbeitslosen hielt sich zunächst in Grenzen. Ende 2007 wurde das Gesetz dann noch einmal verschärft: Die niederländische Regierung beschloss, junge Menschen bis zu 27 Jahre hätten von nun an keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe. Von der verschärften Regelung ausgenommen wurden nur besonders
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