Reich durch Hartz IV
Niederlande sind keine Insel der Glückseligen. Auch hier gibt es Problemfälle. Auch hier wird es so sein, dass jemand mal nicht rechtzeitig aus dem Bett kommt, lieber chillen will und keine Lust hat, schwere oder monotone Arbeit zu verrichten: »Ja, das gibt es natürlich auch«, räumt einer der Ausbilder ein, aber dann gehe einer der Meister zu den jungen Leuten, die morgens nicht erschienen sind, nach Hause und frage: »He, wo bleibst du? Was ist los mit dir?«
»Und wenn der dann im Bett liegen bleibt und sagt, er habe keine Lust zu so einer blöden Arbeit, er bleibe lieber zu Hause. Was machen Sie dann?« frage ich. »Ganz einfach – dann bekommt er kein Geld mehr.« Gemeindedirektorin Yvonne Bishar nickt bekräftigend und legt nach: »Es gibt eine Menge, was man für die Gesellschaft tun kann, auch außerhalb des Ersten Arbeitsmarkts. Zum Beispiel Straßen säubern, Behinderten beim Spaziergang helfen, ihnen was zu essen bringen, Alten beim Einkaufen helfen oder sogar im Winter Schnee schippen. Und es ist wichtig, all so was zu tun. Denn was man bekommt, wenn man von staatlicher Hilfe lebt, muss verdient werden von denen, die arbeiten, die Steuern bezahlen. Also muss man an diese Leute etwas zurückgeben.«
Die Umsetzung des Ansatzes wird auch dadurch erleichtert, dass Daten in den Niederlanden regelmäßig abgeglichen werden und Gemeinden, Schulen und Ausbildungsstätten sich ständig austauschen, ohne dass Datenschützer aufgeregt intervenieren. In Holland bekommt beispielsweise jede Gemeindeverwaltung, die für die arbeitslosen jungen Leute zuständig ist und diese finanziell unterstützt, einen Hinweis, wenn die den Unterricht schwänzen oder nicht am Arbeitsplatz erscheinen, und sie kann sofort gegensteuern: Werden Erwartungen dauerhaft nicht erfüllt und Pflichten vernachlässigt, wird die Hilfe gestrichen. Bei uns spricht man dann euphemistisch von »schuldistanzierten Jugendlichen«, und bevor Leistungen gestrichen werden, werden sie erst einmal gebetsmühlenartig ermahnt. Derjenige wird dann oft belächelt, nach dem Motto: Du kannst mir doch gar nichts. In den Niederlanden wird niemand gepampert à la »Wir möchten dich freundlichst bitten, aktiv zu werden, und dir gerne anbieten, einen Sprachkurs zu machen, denn das siehst du doch sicher ein, dass du ein bisschen Niederländisch sprechen können solltest, wenn du hier einen Arbeitsplatz haben willst.« Dennoch ist das Klima in den Jobcentern freundlich, und alle gehen höflich, aber bestimmt miteinander um. Unsere Kanzlerin würde sagen: »Alternativlos.« Das heißt, die Arbeitslosen im Nachbarland werden respektvoll behandelt, wobei ihnen auch deutlich gemacht wird, dass es keine Alternative zur angebotenen Ausbildung, zum Arbeitsplatz, Sprachkurs oder eben auch zu der gemeinnützigen Arbeit gibt. Verweigerung führt, man kann es nicht oft genug wiederholen, zu sofortigen Sanktionen, zum Entzug der Unterstützung. In den Niederlanden spricht keiner davon, die Würde eines Menschen werde verletzt, wenn er Grünanlagen reinigt. Es wird nicht mehr darüber diskutiert, ob Schneeschippen unzumutbar sei, wie es hierzulande in epischer Breite in jeder Talkshow passiert. Stattdessen vertraut man darauf, dass jeder irgendetwas jederzeit zum Wohle der Allgemeinheit beitragen kann.
Die Direktorin der Gemeindeverwaltung fährt mit mir in ein Wohnviertel ihrer Gemeinde, wo gerade ein Kleinlaster die Runde macht. Zwei arbeitslose Einwanderer springen heraus, sehen sich prüfend um und werfen Säcke mit Abfall, ein altes Sofa und einen kaputten Stuhl auf die Ladefläche des Transporters. Sie sorgen für Ordnung. Anwohner hatten die Säcke achtlos neben die Mülltonnen gestellt, jetzt werden sie weggeräumt. Andere harken Wege, sammeln zwischen den Bäumen Papier auf, unterstützen alte Leute beim Einkaufen, die es nicht mehr schaffen, Mineralwasserkisten oder schwere Tüten mit Kartoffeln in die Wohnung zu schleppen, oder sie gehen ihnen zur Hand, wenn sie nicht mehr beweglich genug sind, um etwa ihr Treppenhaus in Ordnung zu halten, für viele eine lebensnotwendige Hilfe. Viele Ältere kommen in ihrer Wohnung nämlich sonst noch wunderbar allein zurecht und sind noch selbstständig genug, weshalb sie noch nicht in ein Altersheim ziehen wollen. Das ermöglicht der gemeinnützige Einsatz der Arbeitslosen. Die Helfer wissen, dass diese Menschen auf sie angewiesen sind. Die Unterstützung ist sehr willkommen, was wiederum auch den Helfern guttut. Sie bekommen
Weitere Kostenlose Bücher