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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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immer noch zu wenig oder gar nicht gefordert.

Und die Lehren für Deutschland?
    In diesem Buch habe ich Eindrücke aus und Begegnungen in Jobcentern, Kursen von Bildungsträgern, Kanzleien, Büros, Tafeln und Suppenküchen zusammengetragen. Was müsste sich in Deutschland ändern, um auch bei uns »Jobwunder« möglich zu machen, Menschen, die seit Langem beschäftigungslos sind, wieder in Arbeit zu bringen und die, die sich mit der Arbeitslosigkeit eingerichtet haben, in Bewegung? Denn nirgendwo in Europa verharren Menschen länger in der Arbeitslosigkeit als in Deutschland.
    Nachfolgend einige Überlegungen:
1. Wer arbeitet, darf nicht mehr der Dumme sein
    Die Supermärkte in Deutschland haben in den letzten Jahren ihre Öffnungszeiten immer mehr ausgeweitet, einige bis 22 oder sogar 23 Uhr. Als ich kürzlich am späten Abend einkaufte, fragte ich die junge Frau an der Kasse, ob sie eine Familie habe und wie sie ihr Familienleben mit ihrer Arbeitszeit unter einen Hut bringe. Ihre Antwort: »Mein Mann geht morgens um sechs Uhr aus dem Haus. Er arbeitet in einem Handwerksbetrieb von 7 bis 15.30 Uhr. Um 16 Uhr ist er zu Hause. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um unser Kind. Der Kindergarten in der Gemeinde kostet 240 Euro im Monat. Das ist uns zu teuer, also behalte ich es zu Hause. Um 16 Uhr trinken wir dann einen Kaffee und besprechen, was anliegt. Dann gehe ich um 17 Uhr los, um pünktlich an der Kasse des Supermarkts zu sein. Dort arbeite ich von 18 bis 22 Uhr, halbtags, für 600 Euro brutto. Um 23 Uhr bin ich wieder zu Hause. Dann schläft mein Mann schon. Alle 14 Tage muss ich auch samstags arbeiten. Uns bleibt eigentlich nur der Sonntag für unser Privatleben.«
    Sind diese Frau und ihr Mann nun Helden oder blöd? Das, was sie machen, ist eigentlich selbstverständlich: Sie sorgen für sich und ihren Familienunterhalt selbst. Doch das wird offenbar immer ungewöhnlicher. Wer arbeitet, ist der Dumme – eine gefährliche Entwicklung, die zu keinem guten Ende führen kann. Was soll auf Dauer aus einer Gesellschaft werden, die nicht mehr dem Einzelnen, sondern dem Staat die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Mitglieder zuschreibt und dies als selbstverständlich und gegeben hinnimmt? Die »Gesellschaft« allein sei zuständig für jedwede Bedürfnisbefriedigung und Gewährleistung von »Teilhabe«, so heißt es allerorten.
    Ein Anfang wäre schon gemacht, würden die Arbeitslosenzahlen nüchtern betrachtet und würde genau hingeschaut, wer wirklich händeringend Arbeit sucht, vielleicht noch einen Auffrischungskurs am Computer braucht oder einen Gabelstaplerschein. Aber dann sollte derjenige auch wieder fit für den Arbeitsmarkt sein. Es sollte dabei auch klar werden, wer sich seit Jahren unter mehr oder weniger fadenscheinigen Vorwänden erfolgreich vor Arbeit drückt. Doch in der öffentlichen Diskussion werden Arbeitslose meist als Opfer hingestellt, immer und überall. Und wenn man offen darauf hinweist, dass es eine Menge Menschen gibt, die sich jeder Art von Tätigkeit verweigern und sich mit Hartz IV eingerichtet haben, verletzt man offensichtlich ein Tabu. Sobald in einem Zeitungsartikel, in einer Diskussion oder einer Talkshow der Missbrauch von Sozialleistungen angesprochen wird, erheben sich die Stimmen wie der Chorgesang einer griechischen Tragödie, laut und drohend. Das Sozialkartell aus Allesverstehern, Gutmenschen, Sozialromantikern und vom Beschützer-Syndrom Erfassten, von Realitätsverweigerern und Wegschauern heult auf. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf: Arbeitslose Migranten seien ausgegrenzte Opfer einer bösen Mehrheitsgesellschaft, so heißt es dann. Alleinerziehende, arbeitslose Mütter könnten unmöglich arbeiten. Junge Arbeitslose ohne Schulabschluss und Ausbildung seien Opfer der Verhältnisse. Sie alle müssten erst gecoacht und motiviert werden, vorher gehe gar nichts.
    Zahllose Familienbetreuer und Streetworker, Sozialpädagogen und Psychologen werden in Marsch gesetzt, statt der klaren Forderung, sich zu bewegen, weil sonst die Bezüge gestrichen würden, was – bei jungen Leuten etwa – angebrachter wäre. Denn auf Dauer kann keine Gesellschaft existieren und gedeihen, die Sozialhilfe und Grundsicherung nicht als letztes Mittel ansieht, sondern als Ausweg, wenn der Schulabschluss nicht geklappt hat oder die Ausbildung abgebrochen wurde. Was ist das für ein verrücktes Land, in dem es sich mehr lohnt, zu Hause zu sitzen und auf den Scheck des Jobcenters zu

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