Reich und tot
in dem gewichtige französische und deutsche Klassiker in der Originalsprache – Flaubert, Sartre, Mann, Nietzsche – mit Tom Clancy, Wilbur Smith und ›Die Hunde des Krieges‹ konkurrierten. Jacobson hatte in seiner Open-University-Zeit reichlich über die postmodernistische Haltung gehört, Comics und ›Ilias‹ parallelzu lesen, aber hier hatte die Hochkultur sicher allein Mrs Mortimer gehört, während die Ferrari-Handbücher und die signierte Erstausgabe des Jeffrey-Archer-Schmökers Gus zuzuordnen waren. Was auch immer die beiden zusammengebracht hat, dachte er, eine Ehe verwandter Geister ist es sicher nicht gewesen.
Jemand hatte einen offenen Laptop auf dem Kaffeetisch stehen lassen. Kerr schaltete ihn ein, aber das Ding war mit einem Passwort gesichert und ließ sich nicht hochfahren. Vielleicht sollten sie den zivilen Computerfreak des CID darauf ansetzen. Die Leute speicherten alles Mögliche auf ihrem Computer. Jacobson studierte immer noch die Bücherregale. Kerr ließ sich auf das äußerst bequeme Sofa sinken.
»Slingsby hat recht, was, Frank?«
Es war ebenso sehr eine Feststellung wie eine Frage.
»Ich meine, dass wir nur Indizien haben«, fügte er hinzu.
Jacobson schob ›Die Geschichte der O‹ zurück an ihren Platz, nicht sicher, ob das Buch seine Theorie der getrennten Geister bestätigte oder ihr widersprach.
»Es gibt solche und solche Indizien, Ian. Wir haben kein Video von Mortimer, auf dem er die Hände an der Kehle seiner Frau hat, nein. Aber die Spurensicherung sagt, dass es hier definitiv keinen Einbruch gegeben hat. Wer soll sie dann also ermordet haben? Seine Geschichte ändert sich bereits zu unseren Gunsten, selbst mit Slingsby an seiner Seite. Mit etwas Glück will er sie sich morgen schon von der Seele reden.«
In dem Punkt musste Kerr ihm zustimmen. Nach Mortimers erster Aussage hatte er seiner Frau einen unschuldigen Gutenachtkuss gegeben und sie dann nicht mehr gesehen. Jetzt gab er die Auseinandersetzung beiGeoffrey Trayner zu und auch den gewalttätigen Sex später zu Hause.
Jacobson machte eine Geste zu einer Tür hin, hinter die sie noch nicht gesehen hatten.
»Schauen wir mal, was es in der Küche gibt«, sagte er. »Und dann sollten wir für heute Feierabend machen.«
10
Jacobson hatte seinen Wagen auf dem Parkplatz des Präsidiums stehen lassen. Kerr brachte ihn hin und fuhr anschließend die Wynarth Road stadtauswärts. Als er sich der Abzweigung nach Bovis näherte, stellte er sich kurz vor, wie es wäre, nie wieder nach Hause zu fahren und Cathy alles zu überlassen.
Sie sah fern, als er ins Wohnzimmer kam, und blickte auch nicht auf. Sie tat so, als gäbe es ihn nicht. Die Zwillinge lagen natürlich wieder längst im Bett. Er ging nach oben, wusch sich und zog sich um. Zurück in der Küche, fütterte er die Katze, machte sich eine Tasse Tee und tat so, als lese er die Zeitung. Mit dem schnurlosen Telefon wählte er die Nummer des Bürgertelefons der Polizei, aber wie es sich für einen Samstagabend gehörte, war dort besetzt. Er wählte die Rückruf-Option und musste fünf Minuten warten, ließ es dann fünfmal klingeln, legte auf und führte eine laute Polizeiunterhaltung mit sich selbst.
Bevor er Rachel kennengelernt hatte, war Kerr nicht bewusst gewesen, dass sein Job als Polizist, besonders beim CID, die perfekte Tarnung für Auswärtsspiele war. Lange, unkalkulierbare Überstunden waren die Regel. Wann immer Bedarf bestand, gab es etwas Unvorhersehbares zu tun, etwas, das sofort geklärt werden musste. Die einzige wirkliche Angst war, dass Cathy irgendwann,wenn sie ihn nicht erreichen konnte, bei Jacobson nachfragte. Deshalb weigerte er sich, sein Telefon abzuschalten, wenn er mit Rachel zusammen war. Aus eigenem Antrieb würde Jacobson ihn nicht verraten, das hatte er bisher auch nicht getan. Aber wenn es so weit kam, dass Cathy bei ihm anrief, das wusste Kerr, würde er sie sicher nicht belügen.
Er parkte auf dem Markt, genau wie am Abend zuvor. Sie erwartete ihn nicht, aber das war gewöhnlich okay, wenn er nur vorher kurz durchrief. Im Hintergrund waren Stimmen und Musik zu hören, als sie den Hörer abnahm.
»Rayche? Ich bin gleich um die Ecke, ich hatte in Wynarth zu tun. Ich hätte ein paar Stunden.«
»Mist, Ian«, sagte sie. »Hättest du dich doch früher gemeldet. Ein paar Freundinnen sind hier, und wir sind auf dem Sprung zu Tonys Einweihungsparty. Tony Scruton.«
»Heißt das, ich bin nicht eingeladen?«
Am anderen Ende
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