Reich und tot
nahe beim Haus. Für Jacobsons Budget wäre es besser gewesen, wenn hier nur einer Wache gehalten hätte, aber dafür war das Anwesen zu groß und der Garten zu weitläufig. Kerr folgte Jacobson nach drinnen. Die Sonderrechte des Jobs,
seines
Jobs, waren nie augenfälliger, als wenn er das Haus oder die Wohnung einer Person durchsuchte und nach Gutdünken in den privatesten Dingen herumstöberte. In gewisser Weise, dachte er, war ein guter Detective nichts anderes als ein neugieriger Mistkerl mit der Lizenz, seine Nase in alles zu stecken, was ihn interessierte.
Zuerst sahen sie sich die Schlafzimmer an. Die Spurensicherung hatte bereits den wahrscheinlichen Ablauf der Geschehnisse bestätigt. Mrs Mortimer war im Schlaf angegriffen worden und hatte versucht, aus dem Haus zu fliehen, war aber nicht weiter als bis zur Einfahrt gekommen. Nur das Eheschlafzimmer und eines der kleineren Gästezimmer wiesen Anzeichen kürzlicher Benutzung auf. Die Laboruntersuchungen waren längst nicht abgeschlossen, dennoch schien bereits klar, dass Mrs Mortimer zuletzt in beiden Zimmern und beiden Betten gewesen war. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die äußeren Umstände auf mehr als eine Weise interpretierbar waren. Natürlich würde es im ganzen Haus Spuren von Jenny und Gus Mortimer geben. Wenn sie Spuren von Gus im kleinen Gästezimmer fanden, wo die Auseinandersetzung offenbar ihren Anfang genommen hatte, würdedas dazu passen, dass er mitten in der Nacht zu seiner Frau gegangen war, sie aus dem Bett ins eheliche Schlafzimmer gezerrt, dort vergewaltigt und dann erwürgt hatte. Wie jedoch selbst die mittelmäßigste Verteidigung hervorheben würde, bewiesen diese Spuren gar nichts: Es war Gus Mortimers eigenes Haus, und da war in jedem Zimmer mit Haut und Haaren von ihm zu rechnen. Derartige menschliche Überbleibsel erzählten einem nicht,
wann
sie hinterlassen worden waren. Wenigstens nicht mit der Genauigkeit, auf die es in diesem Fall ankam.
Jennys Abendkleid lag noch auf einem Stuhl in der Ecke des Gästezimmers. Es war dem Kampf mit ihrem Angreifer entgangen. Der Großteil ihrer Kleider befand sich jedoch im großen Schlafzimmer, das sie mit ihrem Mann geteilt hatte. Kerr und Jacobson durchsuchten sowohl den kleinen als auch den großen Raum. Sie zogen Schubladen heraus, stöberten darin herum, sahen unter das Bett und inspizierten die Schränke und Ablagen im Bad. Gegenüber vom Bett stand ein Fernseher mit DV D-Player , daneben lag etwa ein halbes Dutzend Filme, die sicher nicht mehr als Softpornos durchgingen, aber immerhin auf Minderjährige und Tiere verzichteten. Kerr fand einen Vibrator, Jacobson ein Paar Handschellen.
»Ein ganz gewöhnliches Vorstadtschlafzimmer«, sagte Kerr.
Anrüchig, aber nicht zu sehr. Kein Spiegel an der Decke und auch kein Do-it-yourself-Folterspielzeug. Im Wohnzimmer hatte die Spurensicherung etwas Koks auf dem Kaminsims gefunden. Keine große Sache. Wenn sie etwas pharmakologisch Interessanteres suchten, dachte Kerr, sollten sie mal einen Blick in Rachels Kleiderschrank werfen.
Das Wohnzimmer unten war etwa von der Größe eines Flugzeughangars. Riesig, mit einem endlosen cremefarbenen Teppich. An den Wänden hing moderne Kunst, alles Originale, aber vollkommen unbedrohlich, bestenfalls visuelle Stimmungsaufheller. Durch die doppelflügelige Tür ganz am Ende kam man in einen kleineren, intimeren Raum, der vergleichsweise überfrachtet wirkte und fast so aussah, als hätte dort tatsächlich jemand gelebt. Der ›Evening Argus‹ vom Vortag und ein Exemplar von ›Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus‹ lagen auf einem einladend aussehenden Ledersofa. Dazu gab es eine DV D-Anlage und ein Musiksystem, für das normale Menschen eine extra Hypothek hätten aufnehmen müssen. Kerr studierte die CDs im Regal, das aus Bronze zu sein schien und ganz sicher nicht von Ikea stammte. Es gab jede Menge Klassisches, alphabetisch geordnet. Soweit er es beurteilen konnte, handelte es sich um die Sammlung eines Kenners. Er sah die untere Reihe von links nach rechts durch: Wagner, Walton, Weill, Zelenka. Dagegen war die Pop-Auswahl ein völliger Witz: Shania Twain, Chris de Burgh, Phil Collins. Das war nicht nur einfach Gute-Laune-Musik: Das war Schrott, gequirlte Scheiße. Kerr schüttelte es, als er sich vorstellte, wie ›Lady in Red‹ mit kristallklarem Klang aus den supermodernen, womöglich maßgefertigten Boxen perlte.
Jacobson fuhr mit den Händen über das Mahagoni-Bücherregal,
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