Reich und tot
gegangen als der und hätte der Vergewaltigung einen Mord hinzugefügt. Jacobson meinte, in einem der Schränke noch was zum Knabbern zu haben, eine Tüte Bombay-Mix. Die würde bestens zu einem weiteren Glas passen. Aber auch Johnson war nicht der typische Vergewaltiger gewesen, wenigstens nicht auf den erstenBlick. Er stammte aus Manchester, dem Norden, aus einer absolut durchschnittlichen Familie der unteren Mittelklasse, der Art Familie, die von Politikern und der Boulevardpresse so gerne als anständig und normal bezeichnet wurde. Johnson, seine Schwester, Mum und Dad. Sein Dad arbeitete beim Finanzamt, die Mum saß am Empfang einer Arztpraxis. Ein halbes Dutzend Gutachter hatte nichts anderes über sie sagen können, als dass sie emotional gefestigte, tüchtige Eltern gewesen seien. In der Schule war Johnson gut mitgekommen, hatte sogar über dem Durchschnitt gelegen, wenn er auch kein Überflieger gewesen war. Es hatte keine Beschwerden gegeben, dass er andere Schüler drangsaliert hätte oder selbst drangsaliert worden wäre. Er hatte keine Feuerwerkskörper an die Schwänze irgendwelcher Katzen gebunden und auch keine Kaninchen erwürgt. Seit dem fünfzehnten Lebensjahr hatte er regelmäßig Freundinnen gehabt, die letzte, mit der er zusammen gewesen war, als sie ihn gefasst hatten, hielt sogar erst noch zu ihm – bis sie begriff, was er tatsächlich getan hatte.
Jacobson goss den Whisky über das Eis und holte ein kleines Schüsselchen für den Bombay-Mix. Aber irgendein Winkel von Robert Johnsons Seele musste vereist und verhärtet sein. Ein Jahr lang war er nach der Schule auf eine der neuen Universitäten gegangen – war es die in Derby gewesen? –, und dann hatte er sich treiben lassen. Er wollte DJ werden, war damit aber nicht groß weitergekommen. Er landete eher hinter der Theke irgendwelcher Clubs, später arbeitete er auch als Türsteher. Als Jacobson und seine Leute ihn schließlich kassierten, hatte er den Bouncer an der Tür eines Clubs in Crowby gegeben. Ansonsten schien er sich noch für Kampfsport zu interessieren, für Kickboxen zum Beispiel.Der Kickbox-Champion der Midlands war beim Prozess als widerwilliger Leumundszeuge aufgetreten.
Jacobson ging zurück ins Wohnzimmer und versuchte, gegen den plötzlichen Ansturm der Erinnerungen anzukämpfen. Nichts von alldem war im Augenblick wichtig, sagte er sich. Das Gericht hatte am Ende den psychiatrischen Gutachtern geglaubt, die Johnson eine Geisteskrankheit attestiert hatten, ohne diese näher benennen oder ihre Entwicklung beschreiben zu können. Und?
Grüble nicht über diese alten Kamellen, sieh lieber nach vorn.
Er ließ sich in seinen Sessel sinken und überlegte, vielleicht lieber Radio Four zu probieren, statt sich den Schrott im Fernsehen anzutun. Er nahm einen Schluck, konzentrierte sich ganz auf den Geschmack und genoss es, wie ihm der Whisky die Kehle hinunterrann.
Alle Männer sind Vergewaltiger, hatte es eine feministische Soziologin in einem Sommerkurs der Open University auf einen bündigen Nenner gebracht. Voller Sarkasmus hatte er ihr zugestimmt und noch Raub, Mord, Folter und alle übrigen Gewaltverbrechen hinzugefügt, mit denen sie durchzukommen hofften. Und dann, und das war sein
Coupde théâtre
gewesen, hatte er ihr erklärt, dass die Geschichte, von Dachau bis Srebrenica, lehrte, dass Frauen genauso übel seien, wenn sie nur die Chance dazu bekämen. Trotzdem hatte er verstanden, was sie meinte, und es seitdem nie wieder vergessen. Was das Gericht nicht hatte in Betracht ziehen wollen – was Gerichte
selten
in Betracht zogen –, war die Möglichkeit, dass Johnson seine Taten
genossen
hatte, dass er Gefallen daran gefunden hatte, Frauen zu terrorisieren und zu erniedrigen. Was Jacobsons Gedanken wieder an ihren Ausgangspunkt brachte, zurück zum roten Kies der Einfahrt und zu Jenny Mortimers vorquellenden toten Augen.
11
DC Hume rief Jacobson zu Hause an, um ihn ins Bild zu setzen. Natürlich hatte Hume den Bericht als Erster gesehen. Offenbar hatte er seiner Sonntagsdiät aus ›Sport‹ und ›News of the World‹ jetzt auch noch den ›Update‹ hinzugefügt. Jacobson ließ seinen Kaffee halb getrunken stehen und lief zum Zeitungsladen neben dem chinesischen Take-away. Als er die fünfzig Pence über die Ladentheke reichte, warf er einen Blick auf die Schlagzeile, zwang sich dann aber, nicht eher wieder hinzusehen, bis er sicher in seiner Wohnung war. Grundsätzlich, dachte er, zeigte er sich lieber
Weitere Kostenlose Bücher