Reid 2 Die ungehorsame Braut
sagte, es ist mir...«
»Das heißt aber noch lange nicht, dass Sie gleich schreien müssen«, unterbrach Esmeralda sie. »So taub bin ich nun auch wieder nicht. Noch nicht.«
Ophelia lächelte. »Darf ich Sie zur Kutsche begleiten?«
»Danke, aber mit meinen Beinen ist alles in Ordnung, Kindchen.«
Ophelia stieß sich nicht an den giftigen Kommentaren der älteren Dame. Im Gegenteil, sie fand sie sogar amüsant. »Wie Sie wünschen. Ich habe meine Zofe bereits vorgeschickt, um die Kohlenpfanne zu beheizen. Es dürfte also hübsch warm in der Kutsche sein.«
»Sehr umsichtig von Ihnen«, sagte Esmeralda, ehe sie sich dem Butler zuwandte. »Sie halten in der Zwischenzeit die Stellung, William, ich verlasse mich auf Sie. Allerdings sagt mir mein Gefühl, dass ich eher zurück sein werde als erwartet.«
Ophelia entging nicht, wie Raphael bei den Worten seiner Tante zusammenzuckte. Als er sie dann auch noch am Arm packte, ehe sie Lady Esmeralda zur Kutsche folgen konnte, wunderte sie sich nur noch mehr.
»Was, in drei Teufels Namen, sollte das denn?«, zischte er und fügte im selben Atemzug hinzu: »Wenn Sie denken, Sie könnten meine Tante um den kleinen Finger wickeln, täuschen Sie sich. Das werde ich nicht zulassen.«
Ophelia blinzelte verständnislos. Es dauerte einen Augenblick, bis sie ahnte, woher seine unwirsche Reaktion rührte. Er dachte, sie wäre zu der älteren Dame gegenüber nur deshalb leutselig gewesen, weil sie sich davon etwas versprach.
»Es tut mir aufrichtig leid, Lord Locke, wenn ich Sie enttäuschen muss, aber ich habe nun mal ein Herz für Leute jenseits der Sechzig. Diese Menschen versuchen wenigstens nicht, sich mit mir zu messen oder sich anderweitige Vorteile durch eine Freundschaft mit mir zu verschaffen. Seien Sie unbesorgt, Ihre Tante und ich werden blendend miteinander auskommen. Sie haben mein Wort darauf, dass sie nicht meiner spitzen Zunge zum Opfer fallen wird. Allerdings muss ich schon sagen, dass...«
»Schon gut, schon gut. Ich habe verstanden«, unterbrach er sie, wenn auch wesentlich gemäßigter als zuvor. »Am besten, Sie steigen jetzt ein. Je früher wir an unserem Ziel ankommen, desto erleichterter bin ich.«
»Wie schön, dass wir ausnahmsweise einer Meinung sind«, antwortete Ophelia hochnäsig und verließ das Haus.
Kapitel sieben
D a Raphael genau wie Ophelia gern das letzte Wort hatte, hätte er Galle spucken können. Im selben Moment wurde er jedoch von leisen Zweifeln überfallen. Angesichts der Art und Weise, wie sie sich seiner Tante gegenüber gegeben hatte, war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher wie noch am Vorabend. Ophelia hatte sich von einer Seite präsentiert, die er bisher noch nie bei ihr erlebt hatte. Sie war freundlich und zuvorkommend gewesen, eine Tatsache, die auch seiner Tante nicht entgangen war. Anders war Esmes Bemerkung William gegenüber nicht zu verstehen.
Und auch Ophelias Erklärung hatte glaubwürdig geklungen und in ihm Zweifel geweckt, ob sie wirklich so intrigant war, wie er annahm. Leider kannte er sie nicht gut genug, um einschätzen zu können, ob sie die Wahrheit sprach oder ihm eine Lüge auftischte. Nein, bei genauerem Überlegen kam er doch zu dem Entschluss, dass sie sich die Welt so hinbog, wie sie ihr passte.
Am Vorabend, nachdem er mit seiner Tante gemütlich zusammengesessen hatte, hatte er einen Brief an Sabrina aufgesetzt und ihn ihr mittels eines Bediensteten seiner Tante zustellen lassen. Der Mann würde vor Ort auf eine Antwort warten und diese dann auf dem schnellsten Wege nach Alder’s Nest bringen. Sabrina kannte Ophelia um einiges besser als er, hatte sogar ihrem Gesellschaftsdebüt beigewohnt. Wenn er sich recht entsann, kannten Sabrinas Tante und Ophelias Mutter sich noch aus Kindertagen. Aus dem Grunde war er sich gewiss, dass Sabrina einen besseren Überblick über Ophelias Verfehlungen hatte. Deshalb hatte er sie gebeten, ihm in allen Einzelheiten aufzuschreiben, was Ophelia sich hatte zuschulden kommen lassen - eine wichtige Basis für die Arbeit, die vor ihm lag. Er hoffte inständig, Sabrina möge sich mit einer Antwort nicht allzu lange Zeit lassen.
Die Fahrt nach Alder’s Nest dauerte fast den ganzen Tag. Sie verließen Durham und fuhren tief nach Northumberland hinein, wo sie schließlich das Refugium seines Großvaters erreichten. Damit Ophelia nicht zufällig von anderen Reisenden erfuhr, dass sie sich immer weiter von London entfernten, hatte Raphael Esmeralda gebeten, einen
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